Re: kramers LP Faves

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Black Flag – „Damaged“ (SST, 1981)

Rise Above
Spray paint
Six Pack
What I See
TV Party
Thirsty And Miserable
Police Story
Gimmie Gimmie Gimmie

Depression
Room 13
Damaged II
No More
Padded Cell
Life Of Pain
Damaged I

„As a parent, i found it an anti parent-record.“
Al Bergarno, MCA

(Sticker auf dem Cover der „Damaged“-Erstauflage)

Der Anfang dessen, was später Hardcore genannt wurde ist schwer zu orten. Manche nennen die Dead Kennedys oder das erste und einzige Germs-Album, andere die erste Middle Class 7″ mit dem Titel „Out Of Vogue“ oder die erste 7″ der Bad Brains namens „Pay To Cum“ als Initialzündung des Genres. Tatsache ist aber, dass fast alles, was Hardcore ausmachte, prägte, bewegte und überhaupt erst möglich machte fast exklusiv auf 7″ Singles und EPs erschien. Oft in kleinster Auflage, mit selbsgeklebten Sleeves und in billigster Aufmachung, da den Bands oder frisch geründeten Independent Labels nicht nur das Geld sondern auch das Wissen um Plattenproduktionen und deren Vertrieb fehlte. Ziel der Releases war ein damals kleines, meist lokales Publikum, oder die Leser von Fanzines wie Maximumrocknroll, Slash oder Touch and Go. Zu klein war oft das Repertoire der Bands, zu eingeschränkt ihre Lebenszeit, zu kurz der Atem oder zu groß die Wut, um auf LP-Länge überzeugen zu können. Eine der wenigen Ausnahmen ist das Debut-Album von Black Flag, das zugleich auch der erste Release der Band mit dem damals noch weitgehend unbekannten Henry Garfield aka Henry Rollins war. Rollins, der als Mitglied der Washingtoner Szene und Freund von Ian MacKaye (Mitbegründer von Dischord Records und Mitglied von Bands wie Minor Threat und Fugazi) schon viele Auftritte von Black Flag gesehen hatte, wurde nach einem spontanen Gastauftritt bei einem Flag-Konzert kurzerhand als zukünftiger Sänger der Band engagiert. Eine gute Wahl, auch wenn viele noch immer behaupten, dass Keith Morris der perfekte Sänger für Black Flag war.

Zum Zeitpunkt der Damaged-Sessions war Henry Rollins, der zuvor bereits mit S.O.A. eine eher uninteressante EP auf Dischord Records veröffenticht hatte, erst wenige Wochen Mitglied der Band (ihr bereits vierter Sänger!) und somit hielt sich sein Einfluß bei diesem Album noch in Grenzen. Als er das Studio betrat, hatte die Band die backing tracks bereits eingespielt und die Gesangspuren wurden später unter Mithilfe von Chuck Dukowski und Greg Ginn als „Coaches“ hinzugefügt. Das Ergebnis stellt den Höhepunkt des US-Hardcore dar und es scheint, als ob sich für Black Flag erstmalig (und leider auch letztmalig) alles zu einer perfekten Einheit zusammenfügt. Rollins, der für den Job bei Black Flag seinen Arbeitsplatz in einer Häagen Dasz-Filiale gekündigt und sein Appartement verkauft hatte, ist mit seiner kompromißlosen Energie, die einmalig zum mörderischen Arbeitsethos und schlauchenden Tourplan der Band passt, tatsächlich der perfekte Sänger um die aggressiv-zynischen, bisweilen sogar humorvollen Songs rund um Ausgrenzung, Unterdrückung und Abscheu gegenüber System und Obrigkeiten zum Leben zu erwecken und die richtige Ergänzung zu Ginns punktgenauen Gitarreneskapaden:

„Jealous cowards try to control / Rise above / Were gonna rise above / They distort what we say / Rise above / Were gonna rise above / Try and stop what we do / Rise above / When they cant do it themselves

We are tired of your abuse / Try to stop us its no use

Societys arms of control / Rise above / Were gonna rise above / Think they’re smart / Cant think for themselves / Rise above / Were gonna rise above / Laugh at us / Behind our backs / I find satisfaction / In what they lack“

Die Musik auf „Damaged“ ist meist funktional und reduziert ohne dabei in atemloses Geknüppel abzudriften, wie es so oft auf Hardcore-Releases zu hören ist. Ein Verdienst, der zum größten Teil Greg Ginn geschuldet ist, Gitarrist und Kopf von Black Flag, der SST Records gründete (Solid State Transmitters, ursprünglich eine Firma für Amateurfunk Zubehör) um die erste Black Flag 7″ „Nervous Breakdown“ zu veröffentlichen und mit immer waghalsigeren Instrumental, Solo und Jazz-Releases und dem Sublabel Cruz Records spätestens ab Mitte der 80er wahrscheinlich selbst den Überblick und die Kontrolle über das Label verloren hatte, zuvor aber wegweisende und frühe Alben von Sonic Youth, Bad Brains, Minutemen und Hüsker Dü veröffentlichte. Mag sein, dass Black Flag später musikalisch interessantere und vielseitigere Platten veröffentlicht haben, was ihnen natürlich auch Schelte von Hardcore-Gralshütern und der Szene-Polizei einbrachte. So ehrlich, treffend und kompromißlos wie auf „Damaged“ klangen sie aber nie wieder und wahrscheinlich gibt es kaum eine wichtigere Platte im US-Hardcore.

Dass Hardcore nicht gleich Hardcore ist, wird auch hier wieder deutlich, denn im Gegensatz zu Bands wie Minor Threat sind bei Black Flag Einflüsse des ansonsten so verhassten corporate Rock unverkennbar was zugleich auch ein Grund für die anhaltende Popularität dieser Band innerhalb verschiedener musikalischer „Lager“ und selbst bei der MTV-Generation ist, die den tristen, grauen, ätzenden Hardcore geschickt in ihre knallbunte Welt integrierte und in gemäßigter Form über Bands wie Nirvana und Rage Against The Machine oder über übelste Nu-Metal Bands in die weite Welt lieferte. Viele HC-Bands und noch mehr HC-Fans hatten/haben Probleme mit Metal, doch diese ablehnende Haltung ist einseitig, denn im unpolitischeren, simpler gestrickten Metal-Lager war Hardcore immer willkommen, so lange es „gut abging“. Hier ging es weniger um Inhalte, dafür mehr um breitbeinige Macho-Posen und das Anhimmeln großer Stars und Bands in Arenen, im Prinzip also um genau die Mechanismen, die Hardcore verabscheute und dennoch durch seine eigene Stagnation, Zerrissenheit und Bewegungslosigkeit mit anschob, was in so sinnfreien wie verabscheungsdwürdigen Konstrukten wie Crossover gipfelte. So gut die Ideen und viele der Leute hinter Hardcore auch waren, so klar ist im Rückblick, dass er im ursprünglichen Sinne nur für kurze Zeit funktionieren und auf lange Sicht nicht überleben konnte. Viele Bands, die sich heute auf Black Flag berufen, hätten den mörderischen Alltag von Rollins, Ginn und Co., der tägliche Auseinanderstzungen und Anfeindungen und ein Leben am Existenzminimum bedeutete wahrscheinlich nicht überlebt. Oder wie Henry Rollins es im Nachwort seines exzellenten Black Flag Tour-Tagebuchs „Get In The Van“ sagt:

„While I was editing this book, it was hard for me not to become angry every few minutes. I had forgotten how cruel people were to us at times during the band’s existence. All the scathing reviews, the lies. The petty shit that the pigs and some people at the shows got away with. The disrespect and grief that Greg Ginn and Chuck Dukowski endured to keep the whole thing running, when they knew that what they had come up with was completely brilliant. I know what i know from seeing it. I’ve had it done to me by people. I have the scars to prove it.“

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