Startseite › Foren › Die Tonträger: Aktuell und Antiquariat › Das Vinyl-Forum › LP Faves › kramers LP Faves › Re: kramers LP Faves
Anonym
Registriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
R.E.M. – Chronic Town (IRS, 1982)
Wolves, Lower
Gardening at Night
Carnival of Sorts (Boxcars)
1,000,000
Stumble
„The voice tells of knowledge but doesn’t give too much away. The songs have mystery but are in o way fuzzy“
(Richard Grabel, NME 1982)
Alles was R.E.M. zumindest bis in die Mitte er 80er Jahre ausmachen sollte ist hier bereits in voller Perfektion entwickelt: die wunderbaren Pop-Songs mit deutlichem Byrds-Einfluss und klaren Garagen-Wurzeln, Stipes nahezu unverständliches Genuschel, dass die ohnehin kryptischen Songs zu einem kompletten Mysterium werden lässt und allem den Charme verleiht, den R.E.M. irgendwo im Niemandsland zwischen „Pop Song 89“ und „Shiny Happy People“ weitgehend verloren haben.
Die frühen R.E.M. schienen immer wie ein paar störrische aber gutmütige Aussenseiter, die Musik für ihresgleichen machten. Wer sich einmal Live-Aufnahmen aus den frühen Jahre der Band anhört, als sie in ihrem kleinen Van durch die halben Vereinigten Staaten tourten und selbst in den kleinsten Pizza-Restaurants spielten, wird schnell erkennen, dass die heutigen R.E.M. und speziell ihre Live-Shows nichts mehr mit der Band von damals zu tun hat, die im Grunde noch eine Garagen-Band ohne großartige spielerische Fähigkeiten war. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wann und vor allem wie diese Transformation von der recht rauen Live-Band zu den deutlich pop-orientierten Platten von R.E.M. stattgefunden hat.
Chronic Town, der erste R.E.M.-Release auf IRS (nicht wie ursprünglich geplant auf dem Dasht Hopes Label) erschien 1982. Sowohl das Label als auch die Band waren zu diesem Zeitpunkt der Überzeugung, dass es noch zu früh für ein komplettes Album war und so einigte man sich auf den Release einer EP, die zahlreiche Fragen aufwarf und reichlich düster und kryptisch daherkam – vom dunkelbkau eingefärbten Gargoyle-Cover über die spöttisch-geheimnisvollen Abbildungen der Bandmitglieder, den als „Chronic Town“ bzw. „Poster Torn“ betitelten Plattenseiten und natürlich den bewusst unspezifischen Lyrics und Songtiteln – laut Aussage von Peter Buck wollten R.E.M. nie eine Band sein, die Geschichten erzählt, sondern Bilder und Stimmungen erzeugt. Das erklärt dann auch, warum Stipe hier nie aus seiner Sicht oder aus der Perspektive einer anderen Person singt. Eine für meinen Geschmack logische und funktionierende Herangehensweise, zumal der inhaltlich komplett unverständliche Song „Wolves, Lower“ bis heute zu meinen R.E.M.-Favoriten gehört:
„Suspicion yourself, suspicion yourself, don’t get caught
Suspicion yourself, suspicion yourself, let others out
Wilder lower wolves. Here’s a house to put wolves out the door
In a corner garden, wilder lower wolves
House in order, house in order, house in order, house in order
Down there they’re rounding a posse to ride.“
Es ist erstaunlich, wie frisch und direkt die Band trotz all der düsteren und geheimnisvolle Elemente klingt – nichts wirkt pathetisch, gequält oder gar aufgesetzt, keine Peinlichkeiten, keine Pennälerlyrik und die Produktion von Mitch Easter ist vorbildlich, denn sie setzt bei jedem Song die richtigen Akzente und setzt sie so, trotz eines einheitlichen, stimmigen Klangbildes, voneinander ab und sichert ihre individuelle Stimmung, die von treffend eingesetzten Effekten unterstützt wird (am besten und deutlichsten wahrscheinlich auf „Stumble“). Ein enormer Fortschritt im Vergleich zu der verunglückten Produktion der zuvor auf Hib-Tone erschienenen und später in einem anderen Mix auf IRS wiederveöffentlichten Single „Radio Free Europe“. Nicht auszudenken, was aus R.E.M. geworden wäre, hätte tatsächlich Stephen Hague, mit dem die Band eine Version von „Catapult“ für einen möglichen Vertrag bei RCA aufnahm, den Platz hinter den Reglern eingenommen. Hague wurde später u.a. durch seine Tätigkeiten für die Pet Shop Boys, New Order oder Erasure bekannt…
Natürlich haben R.E.M. nach Chronic Town noch zahlreiche gute Songs veröffentlicht und betörende Alben eingespielt, allerdings sind fast alle guten R.E.M.-Songs eine leichte Variation dessen, was sie bereits auf Chronic Town gemacht haben. Diese EP (oder Mini LP) ist für mich das ultimative R.E.M.-Grundgerüst, die Basis auf der alle guten Platten bis 1987 entstanden und wuchsen.
Originale und Reissues von „Chronic Town“ sind übrigens recht leicht zu unterscheiden: Das Original hat ein Gargolye-Label, Reissues haben schlichte, silberne IRS Labels.
--