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ALBERT AYLER TRIO – Spiritual Unity (ESP, 1964)
Date:
10 July 1964, Variety Arts Recording Studio, New York, NY
Tracks:
Ghosts: First Variation (Ayler)
The Wizard (Ayler)
Ghosts (Ayler)
Ghosts: Second Variation (Ayler)
Personnel:
Albert Ayler – Tenor sax
Gary Peacock – Bass
Sunny Murray – Drums
„You have to really play your instrument to escape from notes to sounds“
(Albert Ayler)
Free- und Avantgarde-Jazz ist nicht ohne Grund der Nährboden für ewige Diskussionen, die schon seit 50 Jahren geführt werden und wahrscheinlich noch bis zum jüngsten Tag geführt werden ohne dass dabei eine Annäherung der verhärteten Fronten zustande käme. Interessanterweise ist Free-Jazz aber auch eine Musik, die viele Zuhörer in Konzerten spontan begeistert, bewegt und mitreisst, auf Platte hingegen befremdet, überfordert oder gar an den Nerven zerrt.
Ein kaum zu überschätzender Einfluss auf die sogenannte zweite Generation der Avantagarde im Jazz hatte der Musiker Albert Ayler, in dessen Werk das Album „Spiritual Unity“, häufig als sein bestes und wichtigstes Album bezeichnet, eine besondere Stellung einnimmt, da Ayler hier erstmals mit zwei Musikern zu hören ist, die eindeutig auf Aylers Wellenlänge sind und seine musikalische Sprache sprechen. Aufgenommen in einer spannungsgeladenen Session in einem billigen New Yorker Studio und nur in Mono aufgenommen, weil der Engineer die Sessions für Proben hielt und der ebenfalls anwesende ESP-Chef Bernard Stollman nur noch Augen und Ohren für Ayler und seine Mistreiter Gary Peacock (Bass) und Sunny Murray (Drums) hatte. Stollman war zwar nie für die korrekte Bezahlung der bei ihm unter Vertrag stehenden Musiker bekannt, bot aber vielen Musikern des „New Thing“ Aufnahmemöglichkeiten und veröffentlichte Platten, die bei anderen Labels nicht einmal den Hauch einer Chance gehabt hätten.
Das Trio um Ayler deckt auf „Spiritual Unity“ die komplette Palette der Emotionen ab – vom expressiven Schrei bis zum zurückhaltenden Gurren. Dabei gründet hier vieles auf wohlbekanntes und vertrautes, ja fast primitives Material, das eine fast vertraute Stimmung erzeugt, zumal Ayler in vielen verschachtelten Verweisen immer wieder bekannte Themen zitiert und bearbeitet. Erinnerungen an kinderliederhafte singalongs, marching bands aus New Orleans und alte Spirituals werden wach. Wie viele Platten des Avantgarde-Jazz gibt es schon, die es vermögen, den Hörer mit einem Ohrwurm zurückzulassen und ihn mit dieser unheimlichen, unerklärlichen Schönheit gefangen nehmen? Aylers Spiel auf Spiritual Unity ist hoch emotional und ist zumindest im Ansatz näher an John Coltrane als dem intellektuellen, manchmal etwas kopflastigen Spiel eines Cecil Taylor, mit dem Ayler auch zusammen arbeitete. Ayler entzieht sich fast jeglicher Kritik, indem er sich kaum um Regeln und Vorgaben schert und das durch seine Aussage, dass seine Musik von Gefühlen, nicht Noten handelt untermauert. Obwohl der Einfluss Aylers nicht zu bestreiten ist, so erfährt er auch heute noch nicht die längst überfällige, verdiente Anerkennung. Selbst frühere Bewunderer wie etwa der Autor Stanley Crouch, der einst begeisterte Reviews verfasste, oder der Kritiker Amiri Baraka sind inzwischen zurückgerudert und bezeichnen Ayler als schädlich für den Jazz und seinen eingeschlagenen Weg als Sackgasse. John Coltrane hingegen hatte weniger Berührungsängste und Zweifel, was dazu führte, dass Albert Ayler und Ornette Coleman 1967 auf seiner Beerdigung spielten.
Obwohl ich dem Free- und Avatgarde-Jazz heute distanzierter und kritischer gegenüberstehe als noch vor wenigen Jahren, so gehört „Spiritual Unity“ zu den wenigen Platten, die mich heute noch ebenso faszinieren wie beim ersten Höen. Das mag an Aylers ebenso sensiblen wie unversöhnlich brachialen, stets aufrechten Herangehensweise an Musik liegen. Ayler scheint das Vertrauen des Hörers zu verdienen, ein Vertrauen, dass viel zu oft von Scharlatanen ausgenutzt wurde.
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