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Anonym
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Anders/Raucheisen ist dann wohl die Einspielung, die ich als letzte auch noch dringend brauche. Seltsamerweise bin ich dem nie nachgegangen, obwohl ich beide in einer ganzen Reihe von Schubert-Liedern über alles schätze. Anders‘ Klarheit, seine Unfähigkeit zur Affektiertheit, der Mangel des emotionalen Bauchladens, der Betroffenheit jederzeit feilbietet (all das hat sich weder in den Vierzigern noch später von selbst verstanden), müssen ihn gerade für die „Winterreise“ zu dem Mann machen. Wenn ich ihn allenfalls mit einem anderen vergleichen sollte: dann Wunderlich (gerade das Fehlen einer „Winterreise“ von ihm bedauere ich regelmäßig, verquer, da Anders ja da ist). Und Raucheisen ist ein unglaublich differenzierter, differenzierender „Begleiter“ am Klavier, weit mehr als Gerald Moore oder einige der „großen“ Solisten, mit denen Fischer-Dieskau immer wieder einmal zusammen war. – Das wäre also sicher eine sehr gute Wahl, Harry Rag.
Drum nur noch als Ergänzung: Bei den günstigeren Aufnahmen, soweit ich das gerade bei amazon gesehen habe, ist viel Fischer-Dieskau. Üblicherweise gilt er als der größte Liedsänger des 20. Jahrhunderts, eine Einschätzung, die ich trotz etlicher Hörversuche nicht teilen kann, nicht bei der „Winterreise“. Ich weiß nicht, ob er damit angefangen hat, sicher aber war er prägend für viele in dem Missverständnis, dass der Sänger sich mit dem, wovon er singt, identifiziert – und diese Identifikation in Sprachmanierismen für abgesichert hält. Das führt zu Übertreibungen teils in einzelnen Worten – Ian Bostridge macht das heute noch -, die gerade die Unheimlichkeit, die pinch wohl angesprochen hat, vereiteln. Aber man kann diese Lieder nicht singen, als seien sie einem selbst im Schlaf oder Traum eingefallen und dann die eigene Verwunderung darüber über das Wunder der Kompositionen stellen. Das ist so, als würde man in der Rezitation einer Elegie ständig heulen.
Aber noch einmal zu den günstigeren Einspielungen, da würde ich wohl am ehesten zu Schreier/Richter greifen, bei den Männerstimmen. Oder zu Hans Hotter, doch mag sein Bass in der „Winterreise“ irritieren. Selbst höre ich die „Winterreise“ seit einiger Zeit nur noch mit Fassbaender/Reimann und Schäfer/Schneider, zumindest Fassbaender ist auch für wenige Euro zu bekommen. Einerseits, weil beide Pianisten – wie auch Raucheisen – nicht einfach nur Noten ablesen, andererseits und besonders, weil Fassbaender und Schäfer jede Prätention fehlt, die Einsamkeit dieser Lieder einfach nur vorzutragen, die Betroffenheit anzustacheln. Die stellt sich auf anderem Weg ein, ist zu zeigen, wie dies sicher auch Anders tut, nicht zu beeinflussen mit lustigen (Sprach-) Gesten. Denn die Einsamkeit der „Winterreise“ ist jenseits.
Nuja, das nur noch als Ergänzung. Ich glaube, dass Du mit Anders/Raucheisen die richtige Einspielung für Dich haben wirst. Und ich hoffe, es gibt noch zwei Exemplare, damit ich diese „Winterreise“ auch hören kann, endlich.
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