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Jens Balzers Besprechung in der Berliner Zeitung hat einen guten Eindruck von dem vermittelt, was einen erwartet. Das Album ist definitiv finster und verschluckt das Licht. The Drift verlangt geradezu danach, nachts in einem schwach beleuchteten Raum (vorzugsweise bei Mondlicht) LAUT gehört zu werden. Streckenweise ist das Album recht unheimlich. Aus Scott Walkers Gesang spricht oft Anspannung; er ist recht hoch, wirkt etwas theatralisch. Auf „schöne Melodien“ wird verzichtet. In den Texten wird viel Unbehagliches ausgesprochen (Gewalt, Leid, Tod, Irrationalität, solche Sachen); sie sind dabei sehr poetisch und dunkel. Zum Ausgleich für all das hat die Platte ein paar komische Momente. Wie fast alle Doppelalben ist mir auch dieses zu lang, um es komplett durchzuhören.
Ob The Drift gut und gelungen ist, kann ich jetzt nicht sagen. Ich fahre fürs erste auf die Oberflächenreize ab (die Streicher! die Soundeffekte! der Klang überhaupt!), auf die Überraschungsmomente und die sprachlichen Bilder. Die lichtlos düstere Atmosphäre mag ich auch. Die Tracks gefallen mir, mit ein oder zwei Ausnahmen.
Am besten haben mir „Clara“ und „Cue“ gefallen. „Clara“ ist sehr lang, hält aber durchgehend die Spannung. Ein sehr dynamischer Track. Der Text ist ausnahmsweise erzählend und sehr klar, wenn man die Erläuterung mitliest. Es gibt abrupte Schnitte zwischen den einzelnen Szenen: die kopfunter herabhängenden Leichen von Mussolini und Claretta Petacci (der Titelfigur) und der Mob, die Szene nachts im Palazzo (eine Art Rückblende; Mussolinis Auftritt ist sehr unheimlich), Clarettas Vision, in der Falle zu sitzen wie die gefangene Schwalbe. Das „meat punching“ drückt offenbar Unheil und Gewalt aus; für mich klingt es zwingend. Dann die Szene am Morgen nach der öffentlichen Zurschaustellung der Leichen. Und zum Schluss die Schwalbe im Zimmer des Erzählers, die er davonfliegen lässt – am Ende bricht Scott Walkers Stimme vor lauter Mitgefühl. Ein wunderbarer Track, sehr intensiv. Danach habe ich erstmal eine Pause gebraucht.
„Cue“ beginnt überraschenderweise mit einem Witz. Dann geht es richtig los mit dem Spannungsaufbau. Ein musikalischer Thriller! Die Spannung wird am Ende nicht aufgelöst. Eine vorher aufgebaute Erwartung, zum „BAM BAM BAM BAM“ des Sängers werde hart auf Holz geschlagen, wird enttäuscht. Besonders toll klingen bei diesem Track die Streicher, vor allem wenn sie schreien. Der Text ist dunkel und rätselhaft, auch bilderreich (dreht sich wohl um Krankheit), was ich hier sehr reizvoll finde. Die Worte klingen unheimlich und gut.
Am anderen Extrem steht für mich bis jetzt „Jolson and Jones“. Mit diesem Track konnte ich gar nichts anfangen. Der Text lässt mich völlig ratlos, die Musik erscheint mir grotesk, und ich habe mich schlimm erschrocken, als der geprügelte Esel zu schreien anfing.
Ich denke, ich werde einige Durchläufe brauchen, um mir dieses Album im ganzen zu erschließen.
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To Hell with Poverty