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„Wo ist denn die Platte erschienen?“
„Auf Smaul!!!“
ZeitONlineIch gründe ein Label
Die eigene Plattenfirma: Welcher Musiker träumt nicht davon? Fette Rhythmen, fingerdickes Vinyl, ganz einfach. Bloß einen Namen muss man finden. Unser Autor sucht seit Wochen. – Erfahrungen aus dem tönenden Alltag
Von Martin Gretschmann
Manche Menschen denken von uns Musikern, wir hätten das beste Leben der Welt. Wir würden immer gefeiert und würden auch selbst immer feiern, würden nur hin- und wieder einmal ins Studio gehen, um unter Drogeneinfluss ein paar Liedchen zu trällern, die uns dann unsere Millionen einbrächten, mit denen wir weiter feierten und einmal im Jahr zur Blutwäsche in die französische Schweiz führen. Das entspricht auch fast der Wahrheit, wären da nur nicht diese kleinen Unannehmlichkeiten, mit denen wir uns ständig herumschlagen müssen, wie beispielsweise die Suche nach einem geeigneten Namen für ein neu gegründetes Plattenlabel.
Um unsere elektronische Tanzmusik zu veröffentlichen, erwog ich vor zwei Monaten mit zwei Kollegen die Gründung eines eigenen Plattenlabels. Das geht ganz einfach, man sagt nur: „Wir machen jetzt ein eigenes Label“, überlegt sich bei einem kühlen Weißbier auf der nächsten gemeinsamen Zugfahrt einen Namen, und fertig ist die Plattenfirma.
Kaum ein Mensch kann sich allerdings vorstellen wie schwierig es ist, einen guten Namen dafür zu finden. Immerhin muss man diesen in der Zukunft (sollte das Label überhaupt eine solche haben) ganz oft schreiben oder sprechen, und man will sich natürlich auch nicht mit so banalen Titeln wie „Träx“ oder „Quite Cool“ zufrieden geben.
Apropos „Quite cool“: In unserer Nachbargemeinde gibt es ein Bekleidungsgeschäft, welches den Namen „Quiet Cool“ trägt und ihn in riesigen Lettern, auf Hauswand und Leuchtreklame gedruckt, dem Passanten präsentiert. Wann immer ich den Namen lese, frage ich mich, ob die Besitzer den Laden absichtlich „Quiet Cool“ genannt haben, weil sie auf „stille Kühlheit“ stehen, oder ob sie den Namen in der Annahme gewählt haben, „ziemlich cool“ würde mit „quiet cool“ übersetzt. Möglicherweise waren sie auch noch cooler und haben das „t“ und das „e“ absichtlich vertauscht, nur um sich einen Spaß zu machen mit Typen wie mir, die ihnen dann sogar noch zu kostenloser Publicity verhelfen. Vielleicht war es aber auch der Grafiker, der beim Erstellen der Druckvorlagen – von seinem quasselnden Büronachbar genervt und sich nichts sehnlicher als ein wenig Stille wünschend – „Quiet“ anstatt „Quite“ in seinen Computer schrieb, quasi als freudschen Vertipper.
Nun, die Bahnfahrt beginnt, das Weißbier ist bestellt: Man könnte natürlich bereits existierende Label- oder Firmennamen so verändern, dass wieder etwas Neues und Lustiges dabei entsteht. Da hieße unser Label dann etwa „Zony BtmG“, „B Kitsch Control“ oder „Rotor“. Aber mal ehrlich, lustig ist so etwas schon lange nicht mehr.
Des nachts im Tanzclub gibt es zwischen zwei DJs, bzw. einem DJ und einem Clubbesucher eine stets wiederkehrende Kommunikation, die wie folgt abläuft:
DJ (inaktiv) bzw. Clubbesucher: „Hey, was läuft denn da für eine Platte?“
DJ (aktiv): „Das ist eine neue Platte aus dem Wignomy-Brothers-Umfeld.“
DJ (inaktiv) bzw. Clubbesucher: „Ah, und auf welchem Label kommt die raus?“
DJ (aktiv): „Auf Musik Krause!“
Was liegt also näher, als ein auf Tanzmusik spezialisiertes Label mit einem Namen zu versehen, der mit dem häufig vorangestellten „auf“ eine witzige Bedeutung bekommt oder interessant klingt?
Da fallen mir sofort einige Möglichkeiten ein, wie zum Beispiel „Drehen“, „Wiedersehen“ oder „Brezeln“. Das ergäbe in DJ-Gesprächen demnach „aufdrehen“, „auf Wiedersehen“ oder eben „aufbrezeln“. Für den Anfang ja schon Ordnung, aber da gibt es noch Besseres und Subtileres wie zum Beispiel „Biegen und Brechen“ oder „Smaul“, was zu folgendem Dialog führen könnte:
Clubbesucher: „Auf welchem Label kam denn diese Platte raus?“
DJ: „Auf Smaul!“
Clubbesucher (sich beleidigt umdrehend): „Warum denn gleich so aggressiv? Man wird ja wohl noch fragen dürfen!“
Der Name „Smaul“ muss also wegen seines Provokationspotenzials und seiner allgemeinen Dummheit sofort ausscheiden. „Biegen und Brechen“ gefällt uns sehr gut und rangiert in der „Auf“-Liga ganz weit oben, allerdings lassen die Worte „biegen“ und „brechen“ eher auf eine Musik schließen, die sich irgendwo zwischen Breakbeat und Drum’n’Bass bewegt, weshalb die Aufstiegschancen als gering anzusehen sind.
Das Weißbier ist halbleer, und mittlerweile wird jede am Zug vorbeirauschende Schrift auf ihre Tauglichkeit hin untersucht, um kurz darauf wieder in Vergessenheit zu geraten.
„Wildwechsel“ bleibt hängen, würde zu unserer Herkunft passen und mir, ob meiner Vorliebe für Stabreime, sowieso ganz gut gefallen. Aber – ob man’s glaubt oder nicht – es gibt natürlich schon ein Label (sogar mit einer sehr ähnlichen musikalischen Ausrichtung), das zwar nicht denselben, aber doch einen ähnlichen Namen trägt: „Platzhirsch“. Der Stolz der Zwangskreativen verbietet somit natürlich die Verwendung eines Namens wie „Wildwechsel“. Ach, und überhaupt ist das mit den deutschen Namen langsam ein wenig durch.
Also versuchen wir es vielleicht doch mit einem englischen Namen, ist ja auch viel internationaler, man muss dann in Interviews mit ausländischen Journalisten (sollte es das Label überhaupt zu Interviews bringen) nicht jedes Mal erklären, wie der Name auszusprechen sei und was er bedeute. Das Wort „noon“ kreist in meinem Kopf herum und ich tippe es in den Computer. Es gefällt mir vor allem grafisch sehr gut. Außerordentlich gut sogar! Man sehe sich das einmal an:
noon
Und in groß:
NOON
Herrlich! Aber was hat denn „noon“ mit unserer Musik zu tun? Außer der Tatsache, dass es manchmal eben Mittag wird, bis man einen Club verlässt. Weg damit! Gutes Aussehen ist nicht alles.
Aber warum nicht einmal ein Fantasiename, man könnte doch vielleicht das schöne „noon“ etwas umbauen? Etwa so:
noion
Sieht groß geschrieben so aus:
NOION
Genau! Wie „no“ und „on“ mit einem Strich in der Mitte. Klingt ausgesprochen allerdings nicht besonders schön, und lebensbejahend ist es auch nicht, mit dem „No“ vorneweg. Hm, und wenn man das jetzt vielleicht so umbaute, dass aus dem „No“ ein „On“ würde, das müsste doch auch ganz gut aussehen, oder?
ONION
Und es lässt sich sogar noch schöner aussprechen: „ONION“, wie „UNION“ nur mit „O“.
Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Ach, herrje, wenn man das anders ausspricht, kommt „Onion“ dabei heraus. Ich hasse Zwiebeln! Außerdem gibt’s „Onion“ schon als Labelnamen, also Schluss damit. Und Schluss mit den Fantasienamen.
Die zwei „o“ wollen aber nicht so recht verschwinden aus meinem Kopf. Und aus „Noon“ wird bald „Moon“, und nach einem Blick auf die Zuguhr, die gerade 10:07 anzeigt, kommt mir „Moonraker“ in den Sinn. Laut discogs.com gibt es fünf Bands und zwei Labels mit eben diesem Namen. Überhaupt gibt es kaum Schiffe, Hauptquartiere, Tauchstationen oder Bösewichte aus James-Bond-Filmen, die sich nicht schon längst ein zweites Standbein als Band- oder Labelname geschaffen hätten.
Zu dumm! Das Weißbier ist leer, das Label lebt, die Musik wartet nur darauf, ins Vinyl geschnitten zu werden, aber einen Namen gibt es noch keinen. Und das ist nun schon seit Wochen so! Jede Zugfahrt, ja jede freie Minute wird in Gedanken an einen potenziellen Namen verbracht. Von wegen Sex, Drugs & Rock’n’Roll! Es ist ein Höllenjob!
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[indent] Life is Art. Art is Life. But have you met my wife? (Robert Forster) [/indent][/color]