Re: David Gilmour – On an Island

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ferdes

Registriert seit: 07.04.2005

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Ich wollte nur mal eine kleine und sehr subjektive Rezension über diese neue Scheibe schreiben. Es gibt dabei auch so was wie einzelne Titelrezensionen. Allerdings muss ich mich damit etwas beeilen. Denn… je mehr oder öfters ich die Scheibe höre, desto weniger habe ich Lust, dieses grazile Gesamtwerk auseinander zu dröseln und einzeln zu bewerten.

Booklet und Aufmachung der CD finde ich stilvoll und sehr gelungen. Das ganze strahlt schon vor dem Anhören eine gewisse Ruhe und schüchterne Eleganz aus. Zumindest wirkt es so auf mich – ich mag auch blaue Farben.

Das Booklet liegt nun einfach so auf meinem CD-Player und sagt zu mir: Nimm mich, hör mich mal an. Es kann nämlich sein, das ich dir *nur* gefalle…

-Castellorizon-
War uns doch sofort klar! Warum auch nicht? Schöne Opener sind eben dazu da ein Gesamtwerk zu öffnen…. denkt man! Hier habe ich aber eher das Gefühl *wie* man auf diese Insel kommen könnte. David Gilmour nimmt uns am Kragen hoch, setzt uns auf seine Gitarrenseite und gibt uns einen leichten Schubser. Wir sliden auf seiner Gitarre ins Meer und schwimmen ans Ufer der eigenen Gedanken.
Man fragt als nüchterner Mensch: „Wo und Was ist das?“ Gilmour gibt lässig zur Antwort: „Was Dein Ufer ist und Wo es sich befinden könnte, weiß ich nicht. Aber wenn du dir Zeit nimmst, können wir zwanglos die nächsten 50 Minuten gemeinsam darüber nachdenken.“
(Ich selbst glaube nicht, das er damit eine griechische Sporttaucherinsel meint)

-On An Island-
Es ist einfach nur schön. Nun sitze ich hier auf meiner Insel und es fängt jemand sehr relaxt an zu singen. Mit diesem Gesungen kann ich 30 Jahre Begeisterung über Floyd reflektieren. Sehr stark sind die die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten.
Textauszug: „Träumer verschwinden aber sie sind trotzdem noch hier“. Lassen wir hier aber mal Pink Floyd zur Ruhe kommen. Ich finde, es ist überhaupt nicht damit zu beantworten. Es riecht einfach nach mehr, als dieser immer wiederkehrende dusselige Vergleich.

-The Blue-
Hey, da wird doch keiner etwas Heimweh bekommen? Muss er auch nicht. Wer hat die bloß geritten so unverschämt belanglos zu singen? Ich schaue aufs blaue Cover und das sagt mir: Du kennst mich (noch) nicht. Was soll ich sagen? Meine fragenden Blicke werden freundlicher, meine Skepsis wird mehr und mehr belangloser.

-Take a Breath-
Lückenfüller! Mag ich nicht, will ich nicht. Brauchen tue ich so etwas schon mal gar nicht. Ich strenge mich aber an, vielleicht erkenne ich noch den Sinn dahinter. Ein saurer Lutscher muss wohl immer dabei sein. Vielleicht helfen mir folgende Textzeilen: „Falls ich derjenige bin, der dich über Bord werfen soll. Wenigstens hab ich dir gezeigt wie man zum Ufer schwimmt“
Gut ok, in der Mitte des Songs bekomme ich gezeigt wie man wieder richtig mit seiner oberflächlichen Meinung schwimmen kann.

-Red Sky at Night-
Genau diese Momente sind es! Hier haben wir Zeit unsere Sinne weiter zu öffnen. Das hier ist ein Opener, nein, der Opener! Er der mir die Welt „On An Island“ gnadenlos öffnet. Wer hätte gedacht, das Gilmour so melancholisch Saxophon spielen könnte? Gib einem Musiker ein fremdes Instrument und du hörst, wegen seiner Einfachheit des Spiels, sofort seine Gedanken. Gilmours eigentliche Absicht dieses Albums: Es will dich einfach nur mitnehmen. Es will sich nicht dir mit aller Macht aufdrängen, du drängst dich ihm auf! Wenn du die erste Gelegenheit verpasst hast, das Blaue gibt dir immer wieder die Chance doch noch mitzukommen.

-This Heaven-
Das erste mal wo ich ans erste Soloalbum erinnert werde. Klingt wirklich so wie 1977. Unglaublich mit welcher Rotzigkeit Gilmour noch unterwegs sein kann. Nach dem Motto: Hier haue ich meine Riffs rein! Tu was! Bastel dir gefälligst selbst eine Meinung zusammen! Er fragt: „Du glaubst du kennst mich?“ Und ich muss mir nun eingestehen: „Nein, ich muss passen!“

-Then I Close My Eyes-
Sind wir leicht schräg? Nein, wir sind leicht verträumt und wollen nur mal jammen. Für mich wieder unglaublich mit welcher Intuition und welcher stilistischer Sicherheit Gilmour seine unzähligen Klampfen beherrscht. Nicht im handwerklichen Sinne, da gibt es bessere – sondern in seiner eigenen Ausdrucksweise die sich einfach anhört, es aber wahrlich nicht ist. Er hat ein sehr phantastisches Gespür die Noten nach seinem Instinkt zu spielen. Dieser Instinkt ist es was mich u. a.. hier fasziniert.

-Smile-
Dieser Song, er reißt mich jedes Mal mehr mit. Gilmour war noch nie ein großer Sänger, da pfeif ich sowieso drauf. Allerdings hat er dennoch eine einschmeichelnde Stimme mit hohen Wiedererkennungwert. Um so mehr Respekt, hier nur völlig effektfrei zu klampfen und mir ein Ständchen zu singen. Achso nein, das ist ja nicht nur ein kleines Ständchen, der Titel ist wesentlich mehr als nur ein kleines Smilie. Kennt noch einer „Fat Old Sun“? – Dies hier ist er in seiner endgültigen fertigen Version mit seiner Ehefrau Polly Samson. Muss ich jetzt noch sagen, was das Album „Atom Heart Mother“ in seiner Gesamtheit auslösen kann? „Smile“ tut mit seiner spärlichen effektlosen Instrumentation einfach nur gut.

-A Pocketful of Stones-
Einfach mal die Klappe halten! Das ist das, was mir als erstes eingefallen ist. Wer bei diesem Titel immer noch behauptet, das klingt nach Gilmour oder nach Floyd hat einen an der Klatsche. Ich wüsste nicht wo ich den guten David je so intensiv gehört haben soll – mit einem Piano, welch er selber spielt. Dieser Titel strahlt einfach. Er zeigt mir mit seiner einmaligen Intensität auf, was ich persönlich in unserer heutigen musikalischen Welt so schmerzlich vermisse. Die Einfachheit des musikalischen Ausdruckes. So einfach kann Musik sein…

-Where We Start-
Kennt jemand „Wet Dream“ von Richard Wright? Obwohl bei diesem Song Rick, mein Lieblingsfloyd, nicht mitmischt, so ähnlich relaxt geht es hier zur Sache. Wir haben hier 6,5 Minuten Zeit um hinzuhören. Ich erwähne die Zeit, weil sie einfach viel zu kurz ist. Ich bekomme hier die Krise, hört euch z. B. das klitzekleine Pianoläufchen im Mittelteil an. Es ist so unspektakulär in diesen Song reingepackt – ein Hochgenuß!
Wer immer noch nicht weiß wo sein eigenes Ufer ist dem kann geholfen werden. Einfach wieder auf „Replay“ drücken und von vorne anfangen. Aber Achtung! Die Reise wird wohl eine andere sein… mit anderen Ufern die zu entdecken sind.

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Ich muss einfach anerkennen und erwähnen, dass „On An Island“ einfach nicht so klingt wie ich es von David Gilmour erwartet hätte. Auf mich wirkt diese Scheibe in ihrer Gesamtheit sehr gelassen, sehr eigenständig und ausbalanciert. Es gibt normalerweise ein einfaches Wort dafür: „Understatement“ – dieses trifft aber nicht so richtig zu. Bei jedem erneuten Anhören kommt eine neue musikalische Delikatesse hinzu über die ich mich freue. Ich selbst mag keine großen musikalischen „Seitenhiebe“, das können andere besser produzieren und zelebrieren. Ich gehe davon aus, es war in David Gilmours Absicht, seine Gelassenheit und Zufriedenheit im Alter ohne unnötige Effektballerei auszudrücken.

Ich brauche nichts Neues, keine neue Erfindung irgendwelcher verkappter handwerklicher Stile. Schon gar keine euphorischen D-Dur-4Minuten-Hits. Ich freue mich für ihn -und ich freue mich für mich – das ich seine musikalische und liebenswerte Gelassenheit erfahren durfte. Natürlich ist ein floydianischer Einschlag zu vernehmen, David Gilmour versucht auf „On An Island“ nicht diesen Eindruck mit aller Macht wegzuwischen. Er versucht aber auch nicht, mit allzu übermäßigen floydischen Gitarrensolos, die uns wohl allen bekannt sind, zu penetrieren. Er hat einfach uns mit „On An Island“ gezeigt, was man als seine reine musikalische Wurzel bezeichnen könnte. Aus dieser Wurzel ist seit 1969 ein riesig großer Baum gewachsen den wir Pink Floyd nennen, der so vieles in den Schatten stellt und UNS soviel Vergleiche ziehen lässt – nicht ihn!
Ein Soloalbum zu machen heißt ja auch, dass man sich auf einer anderen Spielwiese als auf der bereits bekannten tummeln kann, erzwingen muss man deswegen aber noch lange nichts. David Gilmour hat nichts erzwungen, er hat für sich, seine Frau und uns *nur* wunderschöne Songs aufgenommen. Respekt!

Nach 30 Jahren Pink-Floyd-Fan ist man ja auch ziemlich froh, etwas neues von den verstreuten Jungs auf die Ohren zu bekommen. Allerdings erschwert mir natürlich diese langjährige Vorbelastung einen klaren Blick zu bewahren. Aber… vielleicht ist auch deswegen ein gefilterter Blick gar nicht so übel? Vielleicht kann man darum besser bestimmen bzw. erkennen warum dieses Album jetzt etwas anderes sein könnte.

Es ist nämlich unglaublich anders! Ich denke, David Gilmour hat uns *seine* letzte, klarste und *intimste* musikalische Botschaft mitgeteilt.

Eben seine: „Blaue Gelassen- und Zufriedenheit“

(andere musikalische Botschaften werden von ihm sicherlich noch folgen)

Die floyd’schen Klangmeister Doug Sax (früher SheffieldLab) und James Guthrie hatten einen entscheidenden Anteil, damit diese Werk so klingt wie es klingt. Einfach unaufdringlich, irgendwie zum mehrmaligen Anhören geschaffen. Sehr schön passend zur oben angesprochenen blauen Gelassenheit.

Und weil ich jetzt soviel geblubbert habe gibt es hier nochmals die Kurzform:

Phantastisch! Ich liebe es! Es ist mein bisheriges Album für 2006

5 blaue Sterne!

Gruss
Stefan

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