Re: Musikalische Plagiate

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bullschuetz

Registriert seit: 16.12.2008

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CanzioneAus meiner Perspektive bleibt der Autor von „Love And Theft“ im Gegensatz zum wahren Schöpfer letztlich ein Epigone. Meiner (unmaßgeblichen) Ansicht nach vermittelt Bob Dylan hier bloss vorhandene Kunst und kompiliert Bestehendes mehr oder weniger beliebig zu etwas halb Eigenem.

Die Wertungsunterschiede werden wir wohl nicht ausräumen können, lassen wir sie also stehen.

Deinen Begriff des „halb Eigenen“ finde ich allerdings treffend – genau darum geht es ja beim postmodernen oder intertextuellen Ansatz, wie ihn Eco anhand des Satzes „Ich liebe Dich inniglich“ schön erklärt hat: Die menschliche Ausdruckstradition ist so breit und ausdifferenziert, dass man schon lange gar nichts „ganz Eigenes“ mehr sagen kann, sondern sich immer – ob bewusst oder unbewusst – in eine Traditionsreihe des bereits Gesagten einordnet. Zugespitzt ausgedrückt und unter Verwendung Deiner moralisch wertenden Wortwahl: Jede künstlerische Äußerung ist „epigonal“ und „ein Plagiat“.

Es gibt darauf verschiedene Antworten:

1. Viele Musiker machen einfach weiter. Sie versuchen, unter Verwendung des bestehenden Genre-Kanons, bestehender Akkordfolgen, bestehender harmonischer, melodischer Konventionen zu etwas Eigenem zu kommen – sprich: zu etwas, das sich nicht zu präzise an ein ganz konkretes Song-Vorbild zurückführen lässt.

2. Es gibt einen Strang in der Musik, der die Suche nach Innovationen vorantreibt, sozusagen unter der Annahme: Es MUSS doch noch neue Ausdrucksformen geben. Hierher gehört die Zerstörung klassischer Songstrukturen, hierher kann der forcierte Einsatz innovativer Technologien gehören.

3. Der postmoderne Künstler beschäftigt sich offensiv mit der Einsicht, dass es schwer oder fast unmöglich geworden ist, „authentisch original“ zu formulieren, er geht bewusst mit dem Problem um, er sieht ihm sozusagen geradewegs ins Auge: montiert, kompiliert, zitiert, schreibt um, überschreibt, dekonstruiert, zerlegt Vorbilder, setzt sie neu zusammen – und versucht, gerade dadurch, zu einer „eigenen“ Sprache zu finden.

Alle drei Verfahren sind aus meiner Sicht legitim, alle drei Ansätze führen immer wieder zu großartigen Ergebnissen – zu den gelungensten im Bereich der Musik gehören aus meiner Sicht die späten Platten Dylans. Selbstverständlich darfst Du Dylans Werk als „epigonal“ bezeichnen – ich persönlich glaube eben, dass Du hier zu kurz denkst und das Beste verpasst, wenn Du beim „Epigone!“-Diktum stehen bleibst.

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