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Eine hochspannende Verfahrensweise… Es ist letztlich eine Kunst, die etwas vollkommen Neues und Eigenes schafft, indem sie lauter durch und durch alte Einzelbestandteile zusammenfügt.
Aus meiner Perspektive bleibt der Autor von „Love And Theft“ im Gegensatz zum wahren Schöpfer letztlich ein Epigone. Meiner (unmaßgeblichen) Ansicht nach vermittelt Bob Dylan hier bloss vorhandene Kunst und kompiliert Bestehendes mehr oder weniger beliebig zu etwas halb Eigenem.
Der Begriff „postmodern“ ließe sich geradezu mustergültig erklären und durchdeklinieren anhand von „Love And Theft“. Es geht ums Zitieren (die Scheibe heißt ja auch nicht Love And Theft, sondern „Love Ands Theft“ – mit Gänsefüßchen; gehts eigentlich noch überdeutlicher?) und um die originalen, neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die sich aus der Zitierpraxis heraus gewinnen lassen.
Mit anderen Worten: Keine Innovationen, keine Erfindungen, keine Anfänge. „Love And Theft“ ist ein Album der Fortsetzungen und Variationen, der alten Mythen und der altbekannten Melodien. Die neuen Ideen waren Bob Dylan bereits in den achtziger Jahren ausgegangen. Also wandte er sich gelassen seiner Lieblingsbeschäftigung zu: dem Recycling betagter Hits. Sein Grundsatz war: Wer alles kann, darf alles. Sogar das Plagiat als originäre Kunst ist wieder möglich.
Beispiel:
Bob Dylan – To Ramona/Rex Griffin – The Last Letter
Bob Dylan – Beyond Here Lies Nothin´/Howlin´Wolf – Who´s Been Talking
Bob Dylan – Make You Feel My Love/Erin Rocha – Can´t Do Right For Doing Wrong
Bob Dylan – Someday Baby/Muddy Waters – Trouble No More
Gerade an diesem Beispiel sieht man, wie heikel moralische Bewertungen in der Kunst sind. Denn es handelt sich ja hier um Überschreibungen und Umschreibungen historischer Vorlagen, um eine intensive und hochreflektierte Auseinandersetzung mit der Tradition. In der Literaturwissenschaft würde man wohl von „Intertextualität“ reden.
Umberto Eco hat diese Intertextualität oder Doppelkodierung beschrieben: „Die post-moderne Haltung scheint mir die eines Mannes, der eine kluge und sehr belesene Frau liebt und daher weiß, daß er ihr nicht sagen kann: ´Ich liebe dich inniglich´, weil er weiß, daß sie weiß (und daß sie weiß, daß er weiß), daß genau diese Worte schon von Hedwig Courths-Mahler geschrieben worden sind. Es gibt jedoch eine Lösung. Er kann sagen: ´Wie jetzt Hedwig Courths-Mahler sagen würde: Ich liebe dich inniglich.´In diesem Moment, nachdem er die falsche Unschuld vermieden hat, nachdem er klar zum Ausdruck gebracht hat, daß man nicht mehr unschuldig reden kann, hat er gleichwohl der Frau gesagt, was er ihr sagen wollte, nämlich daß er sie liebe, aber daß er sie in einer Zeit der verlorenen Unschuld liebe. Wenn sie das Spiel mitmacht, hat sie in gleicher Weise eine Liebeserklärung entgegengenommen. Keiner der beiden Gesprächspartner braucht sich naiv zu fühlen, beide akzeptieren die Herausforderung der Vergangenheit, des längst schon Gesagten, das man nicht einfach wegwischen kann, beide spielen bewußt das Spiel der Ironie…Aber beiden ist es gelungen, noch einmal von Liebe zu reden.“
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