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CanzioneBob Dylan – Sugar Baby
Gene Austin – The Lonesome Road
Bob Dylan – Bye And Bye
Bob Dylan – Tweedle Dum & Tweedle Dee
In der Tat berühmte und meines Wissens auch auf einem Sampler („Songs from the invisible Republic“ oder so) dokumentierte Beispiele – sie fallen allerdings meiner Ansicht nach total aus dem hier diskutierten Rahmen:
Oft sind so genannte Plagiate ja vermutlich wirklich gar keine bewussten Diebstahlsakte, wie hier schon anhand von Gary Moore und Dire Straits diskutiert wurde, sondern der Tatsache geschuldet, dass bestimmte Tonfolgen zu bestimmten Akkordfolgen einfach zu naheliegend und zu zwingend schön sind, um nur von einem einzigen Menschen erdacht zu werden. Bei den Dylan-Beispielen handelt es sich aber um ganz offensichtliche und hochbewusste Übernahmen alter Vorlagen. So gesehen wäre hier der Begriff „Plagiat“ (mit seiner moralischen Konnotation – „Diebstahl“) einerseits deutlich angemessener als in den meisten der hier bislang zitierten Fälle.
Andererseits: Gerade an diesem Beispiel sieht man, wie heikel moralische Bewertungen in der Kunst sind. Denn es handelt sich ja hier um Überschreibungen und Umschreibungen historischer Vorlagen, um eine intensive und hochreflektierte Auseinandersetzung mit der Tradition. In der Literaturwissenschaft würde man wohl von „Intertextualität“ reden.
Die genannten Beispiele finden sich auf einer LP mit dem fast schon holzhammermäßíg programmatischen Titel „Liebe und Diebstahl“. Es geht also darum, aus Liebe historische Liedvorlagen durch Aneignung zu revitalisieren, zu aktualisieren – und sich gleichzeitig aus der Gegenwart heraus eine Art song-mythischer Vergangenheit zu rekonstruieren. Eine hochspannende Verfahrensweise, finde ich – die noch interessanter wird, wenn man bedenkt, dass in diese Musik-„Plagiate“ alter Lieder wiederum Text-„Plagiate“ anderer alter Lieder eingebaut sind. Es ist letztlich eine Kunst, die etwas vollkommen Neues und Eigenes schafft, indem sie lauter durch und durch alte Einzelbestandteile zusammenfügt.
Und dieses Verfahren ist ja dann auch wieder sehr auf der Höhe der Zeit (der „Modern Times“). Der Begriff „postmodern“ ließe sich geradezu mustergültig erklären und durchdeklinieren anhand von „Love & Theft“. Es geht hier ums Zitieren (die Scheibe heißt ja auch nicht Love And Theft, sondern „Love Ands Theft“ – mit Gänsefüßchen; geht’s eigentlich noch überdeutlicher?) und um die originalen, neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die sich aus dieser Zitierpraxis heraus gewinnen lassen.
Zum Vergleich fällt mir da die Sex-Szene aus dem „Namen der Rose“ ein, die nahezu komplett aus Zitaten religiöser Traktate, mittelalterlicher Mystikertexte und Bibelpassagen wie dem Hohen Lied zusammengesetzt ist.
So zu arbeiten, wie Dylan es hier tut, ist ästhetisch vollkommen legitim.
Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob er die so entstandenen Werke einfach mit dem Vermerk „by Bob Dylan“ kennzeichnen darf oder ob er seine Vorlagen- und Steilpassgeber namentlich nennen und ihnen Geld bezahlen müsste. Mir persönlich ist das sehr egal. Aber ich sehe ein, dass man darüber diskutieren kann.
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