Re: Morrissey · Ringleader Of The Tormentors

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melodynelson
L'Homme à tête de chou

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Dominick BirdseyIch glaube so ziemlich jeder Song auf „Ringleader“ ist besser als einer auf „Kill Uncle“.

Naja, sooo schlecht ist die auch nicht. Our Frank, Driving Your Girlfriend Home, (I’m) The End Of The Family Line, Sing Your Life, There’s A Place In Hell… und ganz besonders Mute Witness sind doch phantastische Songs, nur tut ihnen die anämische Produktion Langer und Winstanley schweren Schaden an, was das gesamte Album zu einer einzigen zähflüssigen Soße verkommen lässt.

Und jetzt kommt ein provokantes Statement: „Ich würde jeden der oben genannten Songs jedem beliebigen auf Ringleader mit Ausnahme von Life Is A Pigsty vorziehen.“ Andererseits muss sollte ich auch einräumen, dass keiner auf dem neuen Album so schlecht ist wie die schlechtesten auf Kill Uncle, die auch gleichzeitig das Mieseste sind was Morrissey jemals hervorgebracht hat.

Eine treffendere Paralle für Ringleader wäre allerdings Southpaw Grammar; und dies in vielerlei Hinsicht. Beide folgten in relativ kurzen Abständen auf ein erfolgreiches, unverschämt eingängiges Album und taten sich demzufolge in der Nachfolge schwer.

Southpaw Grammar hielt dem altersweisen und beinahe schon versöhnlich gestimmten Morrissey von Vauxhall And I einen Zerrspiegel vor, der ein vernarbtes Antlitz barg. Auf Southpaw war Morrissey nur noch Nebendarsteller – oder besser: Ringrichter – umgeben von Spottgeburten aus Dreck und Feuer; Dorfcasanovas, Boxer, doppelzüngige Working-Class-Autoren, Schüler, die ihren Lehrern an den Kragen wollen, Hooligans etc. Nur 8 Songs: Zwei davon treffen die 10-Minuten-Marke, einer beginnt mit einem zweiminütigen Schlagzeugsolo wie es Mozzer wohl auch selbst getrommelt haben könnte. Das Gitarrenspiel ist ausufernd und brutal, es schreit vor Pein, tritt und schlägt von allen Seiten auf Morrissey ein, der, zweifelhaft versuchend seine Stimme zu finden, nur noch Blut spuckt. Und am Ende erscheint der Geist von Johnny Marr, aber ach! ein Geist nur! Southpaw Grammar ist ein Brocken, es mangelt an übermäßig eingängigen Songs, auch die Singles bilden da keine Ausnahme. Und, unter uns: Morrissey war eigentlich immer eingängig. Das waren seine viel zitierten Vorbilder, das waren die Smiths: Pop wie Pop eigentlich immer sein müsste. Das
Sperrige habe ich ihm eigentlich nie abgekauft.

Und dennoch geht von diesem Album eine seltsame Faszination aus, die nur schwer zu erklären ist, und sich erst offenbart, wenn man die obere Dreckschicht abkratzt. Eine Working-Class-Oper (jawoll!!) in 8 Akten, die Morrisseys gesamten Kosmos abdeckt, dabei keinen Hinterhof auslässt und jeden Kanaldeckel anhebt, um den fauligen Gestank zu inhalieren.

Mehr als zehn Jahre später hat sich nun, unter ähnlichen Voraussetzungen, mit
Latin Gram..ähh…Ringleader of the Tormentors ein Zwilling dazugesellt, der allerdings weitaus weniger sperrig ist, wenn auch genauso hässlich. Morrissey genießt das Dolce Vita, nimmt, Lieber Gott, bitte hilf mir! s-c-h-m-u-t-z-i-ge Worte in den Mund bis das sprichwörtliche Fass überläuft, lässt Kinder vom ödipalen Vatermord singen und davon, dass es im Leben nichts Normales gibt, fliegt den Bowie-Produzenten ein und bekommt Besuch von dem vielleicht gefragtesten Arrangeur der Welt.

Und darüber schreibt dann auch die Presse. Und alle finden’s ganz toll und einigen sich auf diese Platte. Und dabei merken sie nicht, wie vieles hier nur Staffage ist, bestenfalls Operettenbühne. Das Morrissey schon besser gesungen hat, ist eine Binsenweisheit. Dass Morrissey schon besser produziert wurde auch.
Visconti schafft es meist nicht, dass Flickwerk, dass da Songs heißt, sinnvoll zu verbinden. Die Paarung Morrissey/Tobias ergibt nicht viel. Eine weitere – ganz persönliche – Einsicht ist, dass falsche Streicher einem guten Song weniger schaden als echte einem mittelmäßigen Helfen können. Doch das nur am Rande.

Natürlich möchte ich hier keinen Komplettverriss abliefern: Ich liebe Morrissey. Seine Arbeit begleitet mich seit langem, sie hat Gewicht für mich und ich verbinde viele ganz private Erinnerungen mit ihr. Daher ist meine Enttäuschung eine ganz persönliche. Life Is A Pigsty ist einer seiner größten Momente, vielleicht genau das Station-to-Station-Drama, das ich mir von ihm schon immer gewünscht hatte. The Yongest Was The Most Loved, The Father Who Must Be Killed, I’ll Never Be Anybody’s Hero Now und die Single entfalteten mit nach und nach ihre Qualitäten.

Und dennoch habe ich das Gefühl, dass, wenn man das überflüssige Beiwerk entfernt, nicht genug bleiben wird von dieser Platte.

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