Re: Dylan Tour 2005

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Legende rockt und krächzt

01.11.2005

Von Martin Lugauer
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E-Mail: m.lugauer@mittelhessen.de

Wer trägt schwarze Kleidung und kann nicht singen? Nein, nicht der Rabe – es ist Bob Dylan; einst Stimme einer ganzen Generation, der Songpoet, der die zeitgenössische Rock- und Pop-Musik am nachhaltigsten beeinflusste. Am Sonntag hat die lebende Legende, inzwischen 64 Jahre alt, in der Wetzlarer „Arena“ rund 4200 Fans, angereist aus ganz Hessen und weit darüber hinaus, mit 14 seiner rund 1000 Lieder begeistert.

Fotografieren war verboten beim Konzert in Wetzlar, daher ein Bob Dylan in jüngeren Tagen. Archiv

Wetzlar. Exakt zwei Stunden lang hielt er sich, nach Auftritten in Hamburg, Berlin, Hannover und Oberhausen, auf der Wetzlarer Bühne auf. Zum Repertoire gehören Stücke seines 2001 veröffentlichten Meisterwerks „Love and theft“ ebenso wie „Oldies“ aus „The freewheelin? Bob Dylan“, das 1964 veröffentlicht wurde.

Mit „Drifter’s Escape“ legt er los. An der Seite des „Meisters“ eine fulminante Band, die es bei Bedarf richtig rocken lässt – und zumindest die Stehplatzkarten-Inhaber im „Arena“-Innenraum in Bewegung bringt.

Dylan selbst steht, ein ungewohntes Bild, ohne Gitarre auf der Bühne. Stattdessen begleitet er sich auf dem Keyboard und hin und wieder bläst er auf der Mundharmonika.

Das wiederum ist ein gewohntes Bild und bringt ihm bei den Fans Extra-Applaus ein. Überhaupt, die Fans: Man sieht ihnen an, dass sie mit dieser Musik ihre Jugend verbracht haben, Dylan die Treue halten und mit ihm älter geworden sind. Und so mancher summt mit bei einer der Hymnen des Protests und der 68-er Bewegung: „The times they are a?changin?“.

Natürlich ist Robert Zimmerman, wie der Künstler einst hieß, vor allem für weniger eingefleischte Fans gewöhnungsbedürftig. Er spricht nicht mit dem Publikum – von einer Ausnahme abgesehen.

Er lässt sich nicht ablichten, schon gar nicht von Pressefotografen. Er modifiziert und verändert seine Lieder, die längst auch pophistorisches Allgemeingut sind, bis zur Unkenntlichkeit.

Es dauert mehr als einen Moment, bis man erkennt, wow, das ist ja „You ain?t going nowhere“ oder „Just like a woman“. Niemand bekommt einen Hit, wie er ihn von der CD kennt. Der Vagabund mit der Mundharmonika, seit Ende der 80-er Jahre auf einer „Neverending tour“ unterwegs, liebt die Veränderung und Verfremdung.

Für viele war Dylans nasaler Vortrag schon immer eine Zumutung. Nun aber ist die Stimme ganz hinüber. Als Zugabe dann ein fulminantes „All along the watchtower“ Dylan zelebriert stattdessen unrhythmischen Sprechgesang, Verständlichkeit ist nicht seine Absicht. Wer das Lied kennt, kann zumindest hin und wieder einzelne Wörter verstehen, Neulinge haben keine Chance. Und dennoch ist das Konzert klasse. Das Gesamtkunstwerk Dylans wird präsentiert, ein Werk, das die Musikwelt ähnlich beeinflusste wie Pablo Picasso die moderne Malerei.

Dass Dylan ein Poet ist, belegt sein düsteres „A hard rain?s a-gonna fall“, damals unter dem Eindruck der Kuba-Krise geschrieben und am Sonntag eines der Glanzlichter des Konzerts.

Wer die Texte nicht versteht, bekommt auf jeden Fall exzellente Musik, mal rockig, mal bluesig, manchmal Folk, manchmal Country. Bei „Don?t think twice, it?s alright“, hätte man glatt Foxtrott tanzen können. Dagegen werden „Highway 61“ und „Honest with me“ zu Rocknummern erster Güte.

Gut sechs Minuten lang lassen Dylan und seine Fünf-Mann-Band die Fans Zugabe klatschen. Das Warten und die Ausdauer lohnen sich: „Once upon a time“ krächzt es aus den Boxen – die erste Zeile des Meisterwerks der Rockmusik erklingt in der „MittelhessenArena“. Bob Dylan und Band spielen „Like a rolling stone“.

Und als wolle der spröde Stars seine Ausnahmestellung noch unterstreichen, gibt es zum Schluss des Konzerts den Höhepunkt: eine fulminante Interpretation von „All along the watchtower“, garniert mit einem Gitarrensolo, das auch Jimi Hendrix alle Ehre gemacht hätte.

Dann verbeugt sich der schwarze „Rabe“ und verschwindet.

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