Re: Dylan Tour 2005

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Lauter alte Unbekannte

KONZERT / Jeder weiß, es ist ein Dylan-Song, aber niemand erkennt ihn: Eine rätselvolle Wiederbegegnung mit dem Idol der Generation 50plus in der Oberhausener Arena.

OBERHAUSEN. Es gellt schon lange kein Aufschrei mehr durch die Musikwelt, wenn Bob Dylan die Instrumente unter Strom setzt. Heute geht der Mann aus Duluth/Minnesota noch einen Schritt weiter. Heavy metallic rührt er den Sound, es wird gejammt, bis es im Karton aus Country, Folk, Blues und, ja, Rock´n´Roll, nur so rappelt. Nicht zur Freude aller Zuhörer. Ein entnervter Herr verließ beim schwierig zu ortenden „Mr. Tambourine Man“ kopfschüttelnd die Arena. Dessen unbeeindruckt lenkte Bob Dylan seinen Fünfer mit Steuermann emotionslos durch den Abend, an dem es um nichts anderes ging als um die Musik.

Veteranentreffen sehen anders aus
Pünktlich wie ein Zimmermann kam das Sextett auf die Bühne der König-Pilsener-Arena, in deren Halbrund ein erwartungsvoll gestimmtes Publikum Hochspannung spürte. Trotzdem: Nostalgische Veteranentreffen sehen anders aus. Zwar gab es massenhaft Blue Jeans, aber keine Armeeparkas mit Anti-Atomkraft-Zeichen. Dylans Zeitgenossen wechselten längst vom raubauzigen Outfit zum feinen Zwirn.

Das Idol der Generation 50plus verbrachte seine komplette Arbeitszeit hinter dem Keyboard, während die Musiker ihre Standorte nicht verlassen durften. Nur einmal ging Bassist Tony Garnier sieben Schritte nach rechts.

In Oberhausen war Dylans Credo von den sich (ständig) ändernden Zeiten noch wörtlicher zu nehmen. Sie ändern sich so dramatisch, dass die Erwartung in Dylan-typische Songs kurzerhand beerdigt werden musste. Die gefühlvolle Wärme, die Dylan früher den protestgesinnten Post-Beatniks und Outlaws verordnete, machte einer kühlen Professionalität Platz. Dylan selbst drehte am Rad der Veränderung so schlüssig, dass die neuen Arrangements alter Lieder wirkten wie des Kaisers neue Kleider: Jeder weiß, es ist ein Dylan-Song, doch niemand erkennt ihn.

„Maggie´s Farm“ eröffnete den Liederreigen aus vier Jahrzehnten, in denen der Poet und Sänger durch Höhen und Tiefen bis zum denkmalgeschützten Mythos mutierte. Es folgte Rätselfrage auf Rätselfrage, denn Bob Dylan verweigerte jede Form der Kommunikation. Herumwühlen im Gedächtnis ersetzte für zwei Stunden samstagsabendübliches Raten vor dem TV. In „Best Of“-Manier kramte Dylan in alten Liederbüchern – von „I´ll Be Your Baby Tonight“ über „Highway 61 Revisited“ bis „Tangled Up In Blue“. Vom „Love and Theft“-Album servierte er „High Water“ mit Donnie Herrons Banjo-Begleitung, den „Lonesome Day Blues“ und das lockere „Tweedle Dee & Tweedle Dum“. Im „Jacke-wie-Hose-Lied“ heißt es: Was gut ist für Dich ist auch gut für mich. Das klingt nach Gleichmacherei, die Dylan durch rigorosesVersteckspiel und absolutes Schweigen vermied.

Fast alles verschluckt
Weil er sich in der Vergangenheit auch als Chamäleon gebärdete (hier überzeugter Gottesanbeter, da engagierter Politsongwriter), war das schnelle „Summer Days“, das sich durch frühen Rock´n´Roll fummelte, nicht wirklich überraschend. Da gab es beim sechsunddreißig Jahre alten „Lay Lady Lay“ schon eher große Ohren, weil Dylan mit krächzendem Gegacker fast alles verschluckte.

Dann sprach er – während der Zugabe, nach „Don´t Think Twice, It´s Alright“ und vor „All Along The Watchtower“, – doch noch. Aber mehr als die Namen seiner Musiker kamen ihm nicht über die schmalen Lippen.

Quelle: NRZ

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