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NiteOwlich zitiere mal ein paar Stimmen nach dem Wetzlarer Konzert aus der heimischen Lokalpresse:
„Dylan hat die eigene Musik verhunzt“
„Geile Musik – Dylan hat fast nicht gestört“
„Eine grandiose Tourband hat Dylan den A… gerettet“
„Schlecht!“
„Enttäuschend!“
Ich hab auch noch was gefunden:
Bob Dylan als Mittelhessen-Traum
Die lebende Musik-Legende begeistert 4500 Zuschauer in Wetzlarer Mittelhessen-Arena – Grandiose Begleitband
Karsten Zipp
WETZLAR. Als das Hallenlicht erstrahlt, verblasst der Sternenhimmel. 4500 immer noch klatschende Zuschauer werden brüsk aus einem Traum gerissen und finden sich in einer schmucklosen Halle wieder. Auf dem Boden Zigarettenkippen, in den Ecken leere Plastikbecher. Gerade eben sind die letzten Akkorde von „All along the watchtower“ verklungen, und Bob Dylan hat mit einer kleinen Verbeugung die Bühne verlassen. Ja, der Traum ist vorüber. Es ist 21 Uhr in Wetzlar. Und beim Verlassen der Halle fröstelt es die Zuschauer, während sie im trüben Licht zwischen Media-Markt und Schnellstraße zu ihren Autos laufen. Vielleicht fragen sich einige schon in diesen Minuten, ob sie sich nicht doch in einem Traum verloren haben. Bob Dylan in Wetzlar? Bob Dylan in der Mittelhessen-Arena? Eine lebende Legende in unserer Provinz? Vielleicht eben doch nur eine spinnerte Fantasie.
Aber zurück zum Anfang des musikalischen Ereignisses. Am Anfang ist der Stau. Wer gegen halb sieben abends aus Richtung Gießen die B 49 gen Wetzlar fuhr, fand sich schon weit vor der Abfahrt Garbenheim im dichten Autogedränge wieder. Nummerschilder aus Thüringen, Nord- und Osthessen verraten, dass die Anziehungskraft des Musik-Genies ungebrochen ist. Vor der Halle stehen Händler, die die letzten Eintrittskarten wie Drogenbriefchen feilbieten.
Im Foyer drängeln sich Jung und Alt, Anzugträger und Jeans-Fetischist, Hippie und Banker, Mutter und Tochter. Ein Dylan-Konzert als beschaulicher Familienabend. Die Zeiten haben sich geändert. Doch auch heute noch spekulieren die Musikenthusiasten, welche Lieder wohl auf dem Programm stehen. Angeblich bietet „his Bobness“ auch während einer Tournee nie zweimal das gleiche Programm. Angeblich. Angeblich ist allerdings vieles im Leben des inzwischen 64-Jährigen. Angeblich und nicht gesichert ist sogar seine Altersangabe.
„Konzertbeginn: 19 Uhr“ steht auf den Karten. Wer Dylan kennt, weiß, dass zumindest seine Konzertbeginne gesichert sind. Kein stundenlanges Warten: Der Meister bevorzugt Pünktlichkeit. Und so strömen noch zahlreiche Zuschauer in die Halle, als bereits das Licht erlischt. Von den Schuhen bis zum Hut in Schwarz gekleidet, betritt Dylan mit seinen wiederum grau gewandeten Musikern die Bühne. Der Mann, der anfangs der 60er Jahre mit Gitarre und Mundharmonika die Musikwelt revolutionierte, nimmt mittlerweile nur noch am Klavier Platz. Angeblich kann er wegen diverser gesundheitlicher Schwierigkeiten keine Gitarre mehr spielen. Angeblich. Die ersten Stücke sind etwas zum Warmmachen. Kleine Fingerübungen für die Band, ein bisschen Rätselraten fürs Publikum.
Doch schnell wird an diesem Abend deutlich: Der immer noch schlacksige Mann mit der Wuschelfrisur steckt voller Spielfreude. Das kann auch ganz anders sein, das kann gar unerträglich werden, aber nicht heute. Nicht in Wetzlar. Zum Glück nicht. Über das live nur selten zu hörende „Senor“ aus seiner christlich inspirierten Zeit Ende der 70er nähert sich Dylan seinen ersten Klassikern. Ein Gänsehaut-Erlebnis beim countryseligen „Don´t think twice, it´s allright“, ein ergreifendes, weil schlichtes „Just like a woman“, ein nachdrückliches „A hard rain´s a-gonna-come“. Während die Begeisterung im Publikum steigt, greift Dylan schon mal zur Mundharmonika und kann sich in jeder Minute darauf verlassen, dass seine glänzende Band stets den richtigen Ton findet.
Und immer wieder streut der Mann, der gut und gerne zehn Stunden lang einen Klassiker nach dem anderen darbieten könnte, auch die weniger bekannten seiner Songs ein. Eine bluesige Version von „New Morning“, aus dem oft unterschätzen, gleichnamigen Album von 1971. Und auch „Shooting Star“ vom grandiosen Comeback-Werk „Oh Mercy“ zählen zu den kaum gehörten Live-Stücken. Sicher, in Dylans Stimme hat sich im Alter zum bekannten Nuscheln noch ein Krächzen eingeschlichen, aber das tut den Stücken keinen Abbruch. Die Akkustik in der Wetzlarer Halle ist beeindruckend gut. Die Bühnen-Beleuchtung an diesem Abend ist angemessen dezent, und wenn auf dem roten Samtvorhang zum wundervollen „The times they´re a changing“ der Sternenhimmel leuchtet, könnte es gar romantisch werden. Gefühle, die Dylan aber nur selten zulässt. Oftmals erklingen die wohlbekannten Refrains fast schon ironisch, ertönen beinahe widerwillig mit Verzögerung. Angeblich hat Mr. Robert Zimmermann noch nie ein Lied zweimal auch nur annähernd gleich gespielt. Angeblich.
Davon profitiert an diesem Abend insbesondere die letzte der nur zwei Zugaben. „All along the watchtower“ gewinnt in der krachend lakonischen Hard-Rock-Version derart an Dynamik, dass die Zuschauer mit dem Jubeln und Klatschen kaum mitkommen. Doch bevor die Rufe nach einer weiteren Zugabe laut werden, geht die Hallenbeleuchtung an. Der Sternenhimmel verblasst. Und wir finden uns später in einer grauen Vorstadt wieder. Der Traum ist aus. Haben wir tatsächlich Bob Dylan in Wetzlar gesehen? Angeblich.
Quelle: Gießener Anzeiger
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