Re: Johnny Cash – The Legend (Box Set)

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sonic-juice
Moderator

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JanPPbrauch ich eigentlich diesen ganzen alten kram, wenn mir die American Recordings gefallen (insbesondere 1 und 4)? gibt es da Sachen, die so langsam, pur und unverfälscht klingen wie diese 4 Alben?
das ist jetzt nicht rhetorisch gefragt, ich kenne halt nur einige Songs, und die halte ich größtenteils für – steinigt mich – netten, aber belanglosen Mainstream Country.

Das mit dem „steinigt mich“ will ich mal zum Anlass nehmen, mich auch als Zielscheibe anzubieten und ketzerische Reden zu schwingen, allerdings mit entgegengesetzter Zielrichtung:

Die „American“-Aufnahmen sind nicht Country und haben mit dem Liedgut, für das Cash in die Ruhmeshalle der Songwriter zu Recht einzieht, nur wenig zu tun.
Auf den 90er-Platten sind (nahezu) ausschließlich Coverversionen und Neuaufnahmen seiner eigenen Songs enthalten, so dass Cash zum reinen Interpreten wird. Insofern sind die früheren Ersteinspielungen mindestens genauso wichtig wie seine Neuinterpretationen – und, wenn man sich etwa die „Folsom Prison“ anhört, oft um einiges ruppiger und purer als die American-Einspielungen. Aber eben Boom-Chika-Boom-Country. Songs wie Deliah´s Gone finde ich im Country-Gewand mindestens so zwingend wie in der Solo-Akkustik-Nummer.
Die American-Platten sind schön und gut (würde auch I+IV als Höhepunkte sehen), aber letztlich ganz klar (country-beeinflusster) Rock und somit nur partiell Cash – und genauso viel Rubin & Petty & die jeweiligen Songautoren. Und das gefällt Dir wahrscheinlich daran so gut – was völlig in Ordnung geht!
Das Tolle an dem Projekt ist meines Erachtens weniger die Musik selbst, denn die Arrangements und die Begleitmusik der Bandeinspielungen sind doch recht hausbacken und bieder, was von Tom Petty auch nicht anders zu erwarten war. Mir gefällt da musikalisch beispielsweise die mit ähnlichem Ansatz konzipierte „Across The Borderline“ von Willie Nelson (mit Gästen wie Bob Dylan, Sinead O´Connor, Paul Simon etc.) um einiges besser. Ich kann daher auch nicht die Ansicht teilen, dass alles was Cash mit Rubin eingespielt hat, heilig und unverzichtbar ist. Diese vermeintliche Unanfechtbarkeit hat sich in den letzten Jahren zum Glaubensbekenntnis gerade unter Neufans etabliert, die Cash für den Rock vereinnahmen und ihn sozusagen zum „Godfather of Grunge Country“ umwidmen. Gerade II und III haben aber m.E. durchaus einige Untiefen und Schwächen. Daher halte ich die „Unearthed“-Box auch nicht für essentiell, sondern für „Fan Only“-Stoff für denjenigen, der sich auch gleich noch die American-Outtakes als Bootleg dazu besorgt.

Das Beeindruckende am American-Zyklus war eher, dass eine schon abgeschriebene Country-Ikone plötzlich Rockplatten einspielt, dann auch noch Liedgut von solchen Düstermännern wie Glenn Danzig, Nick Cave und Trent Reznor vertont, und das mit geradezu autoritärer Authentizität.

Die klassischen Sun- und Columbia-Aufnahmen sind meines Erachtens zum Großteil genauso pur und unverfälscht, aber eben näher am Country.

Insofern würde ich auf Deine Frage antworten:
Nein, brauchst Du eher nicht, wenn Du mit Country überhaupt nichts am Hut hast und Dir zB „I´ve Been Everywhere“ von der A. II nicht gefallen hat. Das Gefallen der American-Platten muss in keiner Weise dazu führen, dass einem die früheren Sachen zusagen. Ich bin zwar auch erst wegen der Soundgarden- und Danzig-Cover auf Cash aufmerksam geworden, habe aber unabhängig davon zuvor schon einen Haufen Country gehört, von Willie Nelson bis Dave Dudley, und mag daher, sozusagen zufällig, auch das Frühwerk (ja, ich schäme mich nicht, sogar einiges vom Mittelwerk!).
(Das Attribut „belanglos“, vorausgesetzt Du beziehst es auf Cashs Frühwerk und nicht zB seine „Mercury“-Jahre oder die Highwayman-Scheiben, lege ich mal zu Deinen Gunsten so aus, dass sie FÜR DICH keinen Belang haben.)

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