Re: Frank Zappa Sticks Out !!!!

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dougsahm
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29.11.2003

Er sah, kam, und siegte

Vor zehn Jahren starb der letzte Großanarch des Pop. Der geniale Musiker Frank Zappa erkannte früh, was Amerika braucht: eine Sau wie ihn. Er hat sich alle Freiheiten genommen. Und sie uns hinterlassen. von Karl Bruckmaier

Jetzt bloß keine Recherche! Wissen heißt: nichts glauben wollen können. Und ich will glauben. Ich will glauben, dass Frank Vincent Zappa, sein Bart, seine Stimme, sein Langhaar, seine Vorsteherdrüse, sein Krebs, sein Witz und seine Gitarre mehr bedeutet haben als zwei Pfund „Lumpy Gravy“. Aber Zappa zu sagen, heißt: bereits zu recherchieren; sofort machen die Gehirnzellen ihre Späßchen, schnalzt das Langzeitgedächtnis mit der Wortspielpeitsche, rattert der Innere-Pop-Streber die Songtitel herunter.

Nehmen wir nur den eben gelesenen Satz und laden ihn auf à la Zappa: „Ich will glauben,“ (Disconnected Synapses, auch: The Meek Shall Inherit Nothing) „dass Frank“ (Our Man in Nirvana, auch: Frank’s Got Money in the Bank) „Vincent“ (I’m so Cute) „Zappa“ (Francesco Zappa), „sein Bart“ (Trying to Grow a Chin), „seine Stimme“ (The Voice of Cheese), „sein Langhaar“ (A Token of my Extreme), „seine Vorsteherdrüse“ (nein, nicht: Why Does It Hurt When I Pee, sondern: What’s the Ugliest Part of Your Body?), „sein Krebs“ (The Chrome Plated Megaphone of Destiny), „sein Witz“ (Does Humor Belong in Music, auch: Make a Jazz Noise Here) „und seine Gitarre“ (Return of the Son of Shut Up’ n Play Yer Guitar) „mehr bedeutet haben“ (No No No, auch: Oh No) „als zwei Pfund“ (Darf’s ein bisschen mehr sein?) sowie: „Lumpy Gravy“, was ja von Haus aus eine Anspielung auf ein Zappa-Album ist.

Wenn wir diesen Satz nun wie zwei Pfund Sonstwas über Nacht im Kühlschrank aufbewahren und inzwischen gelierte Bratensoße an die Wand werfen, laufen in braunen Schlieren unter anderem herunter: die Bergpredigt, Thomas Paine, Befreiungstheologie, ein Attentat, finanzieller Neid früherer Freunde und Angestellter, die Geschichte der Plattenfirmen Rhino, Ryko, Bizarre, Discreet und Straight, ein italienischer Komponist des 18. Jahrhunderts, ein Poster, eine Website, Dadaismus, ein Filmklassiker von 1932, Urologie und Onkologie, der Hang zu rhetorischen Fragen, der Niedergang des Jazz, Xenochronie (seufz) und eine Vorliebe für die Erwähnung von Nahrungsmitteln in Songtexten, ganz zu schweigen von einer Langspielplatte, die am 8. Juni 1968 in der amerikanischen Verkaufshitparade erschien, nicht über Platz 156 hinauskam, nach fünf Wochen wieder aus den Charts verschwand und heute natürlich ein Klassiker ist.

Und selbst das hier Angetippte ist nur Oberfläche; vom Hundertsten zum wahrhaft Tausendsten sind für den Zappalogen nur neunhundert kleine Trippelschritte – was wiederum ein interessantes Phänomen erklärt, um uns auch dem Tausendsten zuzuwenden, bevor wir uns um das Hundertste kümmern, wie es eigentlich Journalistenpflicht wäre: Wer wann wo was warum, geboren und gestorben etc.

Das Phänomen? Die Unmöglichkeit, zwei Zappa-Platten zu besitzen! Es ist durchaus möglich, eine Zappa-Platte im Regal stehen zu haben. Junge Frauen kauften vielleicht in den 70er Jahren ein beliebiges Exemplar, um diesen seltsam interessanten Typen mit den langen Haaren besser verstehen zu lernen, den man neulich in der Teestube des Jugendzentrums getroffen hat. Aber Kerl und Musik erwiesen sich als, äh, Missverständnis. Die eine Zappa-Platte würde unter „Z“ verstauben, würden Frauen ihre Platten alphabetisch ordnen. Und manch ein Musiklehrer hat sich einst – seine sozial-liberale Pädagogen-Glut befeuert von einhelligen Versicherungen seiner Schülerschaft, die Teenager-Allüren abzulegen, falls man „Zoot Allures“ hören dürfe – seine erste und letzte Zappa-Platte beim 2001-Versand bestellt. Eine zweite kam nicht mehr ins Haus.

Denn wer eine zweite Zappa-Platte sich zulegt, wird bald 15 haben. Oder 45. Oder alle: Frank Zappas Musik-Kosmos war und ist eine Falle, ein Labyrinth, eine Geldvernichtungsmaschine, ein Freiluftgehege für analgeschädigte Sammel-Zombies, die nach Durchblick suchen in einem unübersichtlichen Gewimmel von regulären Studio-Aufnahmen, Live-Einspielungen, Neukopplungen, posthumen Kompilationen und frühen Obskuritäten, Rhythm’n’Blues hie, sechs Plattenseiten lang nur Gitarrensoli da, Kammermusik, Hitsingle, großorchestrales Geprotze, solipsistisches Computergefrickel, Bootlegs, Outtakes, Remakes – hier lauert ein Lebenswerk. Womit wir endlich bei der Biographie wären.

Wer Francis Vincent Zappa für ein Gewächs so typisch kalifornisch wie Orangen und Marihuana hält, irrt. Und doch wieder nicht. Geboren wurde der italienischstämmige Zappa vor ziemlich genau 63 Jahren im gründerväterlichen Osten, in Baltimore. Doch aufgewachsen ist er während der kulturell dürren 50er Jahre in kalifornischen Mittelschichtenklaven namens El Cajun oder Lancaster, wo das einzig Schöne, was die Natur in diesen ariden Gegenden hervorbrachte, Mädchen waren.

Der Teenager suchte zwar Anschluss an musizierendes Jungvolk, aber seinen Biographen mit Recht berichtenswerter scheint seine schichtspezifisch ungewöhnliche Neigung zur Musik von Edgar Varèse, den er an seinem 15. Geburtstag anzurufen versucht – und dann nur mit dessen Gattin plauschen kann.

Stellen wir uns vor, wie beim Abhören der rhythmisch verqueren, unmelodischen Musik Varèses die gleißende Wüstensonne auf den kleinen Frankieboy fällt, wie er dabei seinen Taktstock fest umklammert hält und an Highschoolschönheiten denkt, während unten die Mutter summend die Wäsche faltet und draußen in einem alten Auto Captain Beefheart avant la lettre auf Frank wartet, laut Rufus Thomas’ „Tiger Man“ im Radio hörend: Möchte man da nicht vor Freude Freudianer werden? Ist da nicht all die wunderbar in Aufruhr sich befindende Musik, die Frank Zappa Zeit seines Lebens zu Papier, Tonband und Festplatte gebracht hat, eingefangen? In einer einzigen, langen Kamerafahrt?

Beefheart hat Zappa vermutlich abgeholt, um sich in einem muffigen Kino zum zigsten Mal „Freaks“ anzusehen, Tod Brownings damals schon alten Horrorfilm über eigentlich gutmütige Außenseiter, die zur gemeinsam mordenden Racherotte werden, als die Ignoranz der „Normalen“ unerträglich wird.

Dieses Konzept von einem unversöhnlichen Außenseitertum lässt Frank Zappa nicht mehr los: Als er 1966 sein erstes Album einspielt, heißt es natürlich „Freak Out“ und enthält neben bis dahin noch ungehörter Musik auch eine Art Freak-Grundgesetz, was darauf hindeutet, dass Zappa seine Position in Musik und Gegenkultur keineswegs Seite an Seite mit Hippies, Beatniks und Pop-Artisten sah, sondern als eigenständigen Weg, der frei von Kompromissen und frei von Ablenkungsmanövern wie Drogen oder Marxismus direkt zu einem neuen Menschentypus führt: dem fröhlich-freien Freak, immer hungrig, ständig geil.

Um gar nicht erst in Gefahr zu geraten, missverstanden zu werden, waren die Texte eindeutig, die Gesten eindeutig, die Lebensführung eindeutig, das Aussehen eindeutig, die Musik vielschichtig und tendenziell unkommerziell. Und wer bei einem Satz wie „I Promise Not to Come in Your Mouth“ errötete, war es erst gar nicht wert, ein Zimmer in einem von Franks „200 Motels“ zu bekommen.

Um das anarchisch scheinende, aber vom Oberanarchen straff geführte Freak-Imperium auszuweiten, ließ sich Zappa von der etwas verunsicherten Plattenindustrie zwei eigene Labels stiften, auf denen tatsächliche und vermeintliche Gesinnungsgenossen wie die Groupie-Gruppe The GTOs, Jugendfreund und Bluesmutant Captain Beefheart, der Schlangenbändiger Alice Cooper, der geistig etwas minderbemittelte, aber mit durchdringender Stimme gesegnete Wildman Fisher oder der Urmeter amerikanischer Gegenkultur-Comedy – Lenny Bruce – ihren Teil zur Verbesserung der menschlichen Rasse beitragen konnten. Was ist obszöner, schienen die „Hungry Freaks“ ihren Uncle Sam zu fragen: unser nackter Arsch oder das Napalm, das in Vietnam vom Himmel regnet? Frank ließ sich auf dem Thron nieder.

Als er wieder aufstand, waren die Amis raus aus Vietnam, die Mothers of Invention raus aus dem Spiel und Zappas Platten verdächtig weit drin in den Hitparaden. Der verhinderte E-Musiker in ihm war frustriert, der Filmemacher enttäuscht, der Anarchist wie gelähmt, der Gitarrist wie immer zu laut und die eigenen Kinder wollten jetzt auch schon Songs schreiben. Frank Zappa wandte

einen alten Pop-Trick zur Lösung des Problems an: Er wurde viele Zappas.

Der Archivar. Der Partiturenschreiber. Der Studio-Nerd. Der Bühnenkünstler. Der streitbare Bürger. Der Taktstockfuchtler. Die Zersplitterung der gesamten Popmusik in immer mehr voneinander sich abgrenzende Trends und Moden fand ihre Entsprechung im Miniaturkosmos Zappa.

Am Ende seines Lebens, vor zehn Jahren also, war es nicht einfach, zwischen all den Zerr- und Spiegelbildern einen Blick auf den vermutlich wahren Frank Zappa zu erhaschen: einen eigentlich gnädig älter werdenden, graumelierten Herrn mit einem sympathischen, freien Gesicht, dessen Musik in Trucker-Kneipen ebenso laufen konnte wie in Konzertsälen bei Aufführungen durch das „Ensemble Modern“ oder das „Kronos Quartett“. Da hat – erst der zeitliche Abstand macht den Blick darauf frei – einer etwas zustande gebracht, was sonst vielleicht seit Richard Wagner niemand mehr vermochte: ein populäres Gesamtkunstwerk. Charles Ives und die Orioles, Schönberg und Lightnin’ Hopkins zusammengedacht: Manchmal war es prätentiös, manchmal war es langweilig, manchmal war es unerträglich eitel, aber meist war es schlicht großartig.

In einer Welt, die nichts vorgesehen hatte für einen wie ihn und auf ihn nicht vorbereitet war, verschaffte sich Frank Zappa Platz und Anerkennung, woran auch die finale Ungerechtigkeit seines Krebsleidens nichts ändern konnte: „Oh God, I am the American dream . . . “

Was ist geblieben? Als Frank Zappa am 4. Dezember 1993 starb, gab es das Wort „zappaesk“. Es meinte ein vordergründig chaotisches, aber im Grunde genau durchchoreographiertes Bühnengebaren und Songs, die durch überraschende und verwirrende tonale und rhythmische Wechsel, durch explizite Wortwahl und das Attackieren von Erwartungshaltungen gekennzeichnet waren. Im Lauf dreier Jahrzehnte hatten sich daran aber so viele mediokre Musiker versucht, das „zappaesk“ selbst eine Erwartungshaltung hervor rief und zum Klischee verkommen war.

Die Abneigung gegen „zappaeskes“ Epigonentum war derart stark verbreitet, dass Wort und Musizierstil mit dem Tod des Gründer-Franks ebenfalls den Notenschlüssel abgaben. Zwar tourt mal ein Musical mit Zappa-Programm, und dann und wann bringen sich seinerzeit zu kurz gekommene Mothers-of-Invention-Mitglieder als Grandmothers in Erinnerung, aber was sich erstaunlicherweise nicht gebildet hat – und damit wären wir bei einem weiteren Phänomen in Zusammenhang mit Frank Zappa – ist: eine Schule, ein seiner Musik verpflichtetes Subgenre der Popmusik.

Junge Bands wollen klingen wie AC/DC, wie die Stones, wie die Ramones, sogar wie Queen oder die Faces, aber kein verwirrter Zwanzigjähriger springt auf eine Bühne, um nach langen, technisch versierten Gitarrensoli den weiblichen Teil seines Publikums dazu aufzufordern, Schlüpfer auf die Bühne zu werfen, aus denen dann ein Quilt gefertigt und in einem Museum ausgestellt werden soll. Gegenkultur ist in unseren Tagen nicht mehr sexy.

Heute gilt man als hip und schlau, wenn man es zum popmusikalischen Mittelständler bringt. Den Konsens verlässt man nur auf der Basis eines neuen Konsenses: Wer ist schon blöd genug, alles auf sich selbst zu setzen? Die allseits beliebte „instant gratification“, die schnelle und problemlose Erfüllung aller Bedürfnisse durch im Grunde systemkonformes Verhalten, sei es als Superstar im Hamsterrad oder als Neo-Rocker in der Drogenmühle, steht einem „zappaesken“ Weltbild diametral entgegen, in dem alles auf alles bezogen sein kann, Literatur auf Film auf Politik auf Sex auf Philosophie, eine komplexe Welt, in der Fehler sofort bestraft werden und der Erfolg sich vielleicht nie wirklich sichtbar auszahlt, weil er in sich selbst liegt, auf dem Weg gewissermaßen.

Dabei verlangt die Beschäftigung mit Frank Zappa es überhaupt nicht, sich in einen gegenkulturellen Bildungsbürger zu verwandeln, der einmal im Jahr zu einem noch zu errichtenden Zappa-Bayreuth pilgern muss; mag der Mensch und Musiker Zappa auch ein Zuchtmeister und Perfektionist gewesen sein – das Ergebnis seiner Mühen hieß Freiheit. Und die ist auch noch heute im Angebot, falls sich jetzt jemand dafür interessiert, wie der Dynamo brummt, wenn einem das Wiesel mit seinen Krallen durch das Fleisch fährt.

Was das heißen soll?

Eigenrecherche!

Frank Zappa „I am the American

Dream“ (München 1991)

Carl-Ludwig Reichert „Frank Zappa“

(München 2000)

Pamela Des Barres „Light My Fire“

(Frankfurt/Berlin 1989)

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