Re: Miles Davis

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gypsy-tail-wind
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songbirdWelcher der bisherigen Bootleg Veröffentlichungen ist besonders empfehlenswert?

Jazz hat mich wieder verstärkt animiert, CD´s zu kaufen. Es gibt erstklassige Box Sets. wie ich finde.

Schön, dass das auch zu (meines Wissens) eingefleischen Vinyl-Hörern durchdringt! Allerdings, nur für alle Fälle, sind die bisherigen Sets meines Wissens alle (wenigstens Vol. 1 und Vol. 2) auch auf Vinyl erschienen!

Unter dem Strich ist Vol. 2 (1969) wohl das wichtigste, auch wenn ich da – bezüglich Materialauswahl – ein paar Fragezeichen habe. Die Box dokumentiert das dritte grosse Quintett von Miles, das den Übernahmen „lost quintet“ verpasst kriegte, weil Columbia es nicht schaffte, die Band zu dokumentieren. Das war die Gruppe mit Miles, Wayne Shorter, Chick Corea, Dave Holland und Jack DeJohnette. Meine Kritik im Hinblick auf die Auswahl mag demjenigen, der sich mit Miles‘ Diskographie nicht genauer auskennt, sowieso etwas esoterisch erscheinen, aber ich finde, dass die Berücksichtigung der beiden Antibes-Sets (das eine erschien einst offiziell in Japan, aber auch erst mit Jahren der Verspätung) ein wenig ein Übergewicht darstellt, was die frühe Phase der Band betrifft. Im Rest des Sets hört bzw. sieht (als viertes gibt es eine DVD) man dann Musik, von der Europa-Tour im Herbst, von der es eine Menge an guten Materials gibt, von dem ich mir mehr gewünscht hätte (die DVD kann ich auch praktisch vergessen, da ich kaum je solche DVDs anschaue). Kommt noch dazu – Ironie der Geschichte? oder des Produktionsteams? – dass beim Stockholmer Konzert auf CD3 Coreas Fender Rhodes ausfiel und er am akustischen Piano zu hören ist … wir haben daher, so meine Ansicht, keine durch und durch angemessene Box gekriegt, was das „lost quintet“ betrifft. Die Musik ist verdammt gut, ich wünschte mir bloss gleich noch so ein Set mit mehr von den Oktober/November-Konzerten!

Vol. 1 ist auch sehr zu empfehlen (allerdings idiotisch verpackt, fürs Booklet gibt es keinen Slot im Digipack, es ist nur eingelegt und fliegt entsprechend immer wieder mal raus). Noch feiner wäre wohl eine Neuauflage der Plugged Nickel-Box, die das „second quintet“ (Shorter, Herbie Hancock, Ron Carter, Tony Williams) in einem US-Club dokumentiert – natürlich eine ganz andere Atmosphäre als die europäischen Konzerte in Bootleg Vol. 1. Dennoch, die Herbst-Tour von 1967, die in Vol. 1 dokumentiert wird, war verdammt gut!

Vol. 3 fällt gegen die anderen zwei wohl etwas ab – und ich weiss eigentlich nicht, warum – hatte mich enorm darauf gefreut, aber am Ende war wohl Teo Maceros Schnipselarbeit gelungen und „Miles at Fillmore“ (mit je einer LP-Seite von vier Sets an vier aufeinanderfolgenden Abenden, die in Vol. 3 dann komplett zu hören sind) war doch die bessere Idee. Die Sets sind alle recht kurz (Miles war Opener für irgendwen, Grateful Dead oder so), man hat dann noch ein paar Bonustracks draufgepackt, die schon klanglich wirklich nach Bootleg klingen …. keine besonders schlaue Idee, aber da hatten wohl ein paar Leute das Gefühl, ein Set mit vier vierzigminütigen CDs ginge nicht.

Aber bei aller Kritik muss ich doch auch betonen, dass ich die Reihe phantastisch finde und hoffe, dass es noch einige weitere Vols. gibt, v.a. von den Europa-Touren von 1971 und 1973 (von beiden gibt es ja auf Vol. 4) Kostproben und es zirkulieren – wie von 1967 und 1969 auch – im Netz zahlreiche Mitschnitte, es gibt auch einiges an europäischen Bootlegs, aber davon, diese zu kaufen, rate ich natürlich ab) und auch von den Konzerten von 1975. 1964 gab es auch bereits eine ausgiebigere Tour in Europa, die zu dokumentieren sich lohnen würde – die erste mit dem neuen Saxophonisten Wayne Shorter (dem vollendeten „second quintet“, 1963/64 spielte zunächst George Coleman mit der Band, ein guter Musiker, aber keiner, der Miles und der Rhythmusgruppe den Kick – und das Material – geben konnte, wie Shorter das dann tat, nachdem er sich endlich von Art Blakeys Jazz Messengers hatte losreissen können).

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