Re: Miles Davis

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nail75

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redbeansandriceDorhams Kritiken würd ich gerne mal auf einem Haufen sehen, hier ist sein Review von Baby Face Willettes Behind the Eight Ball abgetippt, super Album, bei Dorham 0 Sterne… ich würd seine Sicht auf ESP insofern nicht überbewerten, ist vermutlich ein sehr scharf abgegrenztes Bild davon, was gut und richtig ist hinter… (erinner mich dunkel, irgendwer hätte zB mal gesagt, dass Marion Brown bei Dorham sehr gut weggekommen ist…)

Darum ging es mir nicht, mich störte die kaum verständliche Bewertung („Free-Jazz“). Es ist kein Free-Jazz.

newk@Nail75:
Miles Davis mag sich ja, übrigens mit relativ seltsamen bis idiotischen Argumenten, vom Free Jazz distanziert haben, das ändert aber nichts daran, daß er sich zum Bespiel auf ESP oder den Plugged Nickel Aufnahmen stark von Don Cherry beeinflußen ließ. Den „Quatsch“ hat also nicht Kenny Dorham sondern Davis geschrieben.

Miles Davis wollte keinen Free-Jazz spielen, denn er wollte möglichst viele Zuhörer ansprechen. Klarer als manche Avantgardisten hat er erkannt, dass das mit Free Jazz nicht funktionieren kann.

Unabhängig davon geht es nicht darum, was Miles über Free Jazz geschrieben oder gesagt hat, sondern dass ESP kein Free-Jazz ist.

Hast Du für den Einfluss von Don Cherry eine Quelle? Das halte ich für weit hergeholt. Don Cherry wurde ganz sicher von Miles beeinflusst, aber umgekehrt?

gypsy tail windDas find ich jetzt ein etwas ungerechtes Urteil!
Harmonisch hat das „second quintet“ während der ganzen Zeit seines bestehens Neuland erschlossen! Und zwar durchaus beängstigend komplexes Neuland – ich weiss, Du liest keine Musik, aber glaub mir, die Akkorde, die über den Stücken von „E.S.P.“, „Miles Smiles“, „Nefertiti“ und „The Sorcerer“ im Real Book stehen, die machen Angst! Zugleich ist die Musik in der Anlage einfach, offen, eben so, dass sie auch modal verstanden werden kann (die Reduktion, die sich ab ca. 1958 bei Miles durchgesetzt hat und für die „Kind of Blue“ zum Meilenstein wurde). Auch, wie die Rhythmusgruppe das Tempo dehnt und streckt, das geht weit über Hardbop/Mainstream hinaus!
Diese Musik hat sehr wohl avantgardistische Züge!
Zu Dorham muss man wohl sehen, dass er trotz der Zusammenarbeit mit Joe Henderson mitte der 60er und seinen hardboppigen Bands mit Sonny Red, Fathead, Ronnie Mathews etc selber eben bis zum Ende ein Bebopper blieb – da ergibt ein solches Urteil schon Sinn.

Dass allerdings Miles von vielen missverstanden wurde, würde ich keineswegs bestreiten wollen. Auch das ewige Gerede, er sei ein mittelmässiger Trompeter… ein paar Jahre später (ca. Live at the Fillmore) bläst er Soli, die technisch auf einem sehr hohen Niveau sind!

Miles spielt fast immer brillant, auch wenn er nicht brillant spielt.

Wieso ist mein Urteil ungerecht?

Ich bestreite ja gar nicht, dass das second classic quintet avantgardistische Tendenzen hatte, aber der Unterschied zwischen Coltrane/Ayler oder auch Ornette und Miles ist doch so offensichtlich, da kann ich ein solches Urteil nur als oberflächlich bezeichnen. Das Urteil zeigt darüber hinaus, zu was für einer stockkonservativen Sache Bebop geworden war. Leute wie Dorham – hervorragende Musiker – waren total unfähig, Musik nach anderen Kategorien als denen des Bebop zu beurteilen.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.