Re: Miles Davis

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go1
Gang of One

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Beiträge: 5,644

CassavetesIhr seid doch alle Schwätzer.

Das sagt natürlich genau der Richtige.

CassavetesIch habe jedenfalls keine Lust, Verständnis für (mutmaßliche) Rassisten und Frauenschläger aufbringen zu müssen, ganz egal, unter welchen Bedingungen sie zu ebensolchen wurden.

Du hast also kein Verständnis für Rassisten und Frauenschläger, na super, das musste einfach mal gesagt werden – Du bist halt ein Hecht, ein toller. Alter Selbstdarsteller.

Blöd nur, dass es in der Diskussion gar nicht darum gegangen ist, Verständnis für Rassisten aufzubringen. Diskutiert wurde darüber, ob der Rassismus-Begriff auf den Fall anwendbar ist, ob hier Rassismus vorliegt oder etwas anderes, eine bestimmte Art der Antwort auf rassistische gesellschaftliche Verhältnisse. Du gehst mit keinem Wort auf das ein, was nail75 und bullschuetz dazu geschrieben haben. (Wahrscheinlich wolltest Du eh nicht ernsthaft mitdiskutieren, sondern hast nur die Gelegenheit genutzt, mit Deiner neu erwachten Liebe zu Charles-Manson-Songs zu posieren.)

otisAber diese seltsamen Unterscheidungen zwischen gerechtfertigtem und ungerechtfertigtem Rassismus, finde ich schon arg daneben.

Ich will die Diskussion nicht nochmal aufrollen, ich habe auch gar keine Zeit dazu, aber nur fürs Protokoll: Niemand hat zwischen gerechtfertigtem und ungerechtfertigtem Rassismus unterschieden, das unterstellst Du bloß. Und wenn Du den Leuten, die hier diskutieren, unterstellst, sie würden Rassismus rechtfertigen, würde ich mich an Deiner Stelle über gereizte Antworten nicht wundern.

Die wirkliche Unterscheidung war die zwischen Rassismus und einer Haltung, wie bullschuetz sie beschrieben hat:

bullschuetzDass MD ein Arschloch sein konnte und oftmals war: unbestritten. Nur möchte ich diese Haltungen, diese provokativen Äußerungen, diese bewusst verletzenden und beleidigenden, bewusst aneckenden (heute würde man sagen: bewusst nicht politisch korrekten) Äußerungen in einen Deutungshorizont einordnen. Den der Wut. Der Wut über lebenslang erfahrenen Rassismus, mit dem Weiße in Amerika Schwarze in Amerika unterdrückten, diskriminierten, versklavten, verletzten, beleidigten, ausgrenzten, ausbeuteten: offensichtlichen Rassismus, latenten Rassismus, hasserfüllten Rassismus, herablassenden Rassismus, wohlmeinenden Rassismus, alltäglichen Rassismus, exzesshaft ausbrechenden Rassismus, verbalen Rassismus, gewalttätigen Rassismus. Dass MD all das erlebt hat, dürfen wir, glaube ich, als gegeben annnehmen.

Es gibt viele Modelle, damit umzugehen. (…)
3.
Das Staggerlee-Modell: Der Schwarze buhlt nicht um freundliche Aufnahme im Kreise der bürgerlichen, weißen Wohlmeinenden, indem er noch moralisch integrer ist als sie; der Schwarze duckt sich auch nicht demütig lächelnd weg, damit er nicht geprügelt, sondern wohlwollend am Rande der Gesellschaft geduldet wird. Der Schwarze fordert offensiv seinen Platz nach seinen eigenen Regeln. Und das kann unter Umständen heißen: Er nimmt sich offensiv das Recht heraus, auch großkotzig zu sein, egomanisch, ein Outsider, ein Outlaw, nicht verhuscht, nicht vorsichtig, nicht mit Respekt-Almosen und Anerkennungs-Brosamen zufrieden. Er will die anderen nicht davon überzeugen, dass er Rechte hat – er nimmt sich die Rechte einfach; ein rebellischer Akt der Selbstermächtigung. Es gibt eine lange Traditionslinie für diese Haltung: Die mythische Gestalt des Staggerlee gehört an den Anfang, der Schwergewichtsboxer Jack Johnson passt hierher; wie Sly Stone, ein wichtiger Wahlverwandter von MD, sich in diese Reihe fügt, kann man bei Greil Marcus (Mystery Train) nachlesen; Muhammad Ali und Malcolm X bilden interessante Variationen (allerdings auch markante Modifikationen) des Typus; und der Gangsta-Rapper ist die jüngste Inkarnation des Rollenmodells. Und die Reaktion des aufgeklärten, liberalen, wohlmeinenden Weißen ist immer dasselbe: Moment, das geht jetzt aber zu weit! Wir sind sehr wohl für die Gleichberechtigung der Schwarzen – aber bloß, wenn sie schön vernünftig sind!

Dass das Jack-Johnson-Modell in moralische Ambivalenzen und Dubiositäten mündet, braucht wohl kaum eigens betont zu werden. Natürlich hat sich MD in seinem Leben oft wie ein überlebensgroßes Ekel verhalten.

Ich finde es nur extrem heikel, hier vorschnell mit dem Begriff „Rassismus“ zu hantieren. Denn MDs Verhalten ist zuvorderst eine ANTWORT auf erlebten Rassismus. Es ist die Antwort der lebenslangen Wut, des provokatorischen Trotzes, der bewusst harschen Verweigerung. Diese Haltung lässt sich vielleicht in einem Satz von Sly Stone zusammenfassen: „Don’t call me nigger, whitey.“ Frei übersetzt: Ich werde einen Scheiß tun und dich Bleichgesicht höflich darum bitten, mich doch bitteschön freundlicherweise nicht zu diskriminieren. Wenn du mich nicht respektierst, zahl ich’s Dir mit gleicher Münze heim. Und was, wenn Du aufgeklärtes Bürgersöhnchen dann mich – ausgerechnet mich! – einen „Rassisten“ nennst? Ha, so weit kommt’s noch, dass ich mir von den Weißen erklären, definieren, vorschreiben lasse, welche Reaktionen auf den Rassismus erlaubt sind und wann ich über die Stränge schlage …

Von einer solchen Haltung aus sind Übergänge zur rassistischen Ideologie möglich (= Verlagerung gesellschaftlich erzeugter Unterschiede in die Natur des Menschen), aber ob es die in diesem Fall gegeben hat, muss man am biographischen Material untersuchen, wenn man sich dafür interessiert (mich interessieren allerdings andere Dinge, deswegen schreibe ich dazu nichts).

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To Hell with Poverty