Re: Miles Davis

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faspotun

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aus dem schweizerischen wochenmagazin ‚weltwoche‘ zu den drei neu veröffentlichten aufnahmen von der europa-tournee 1960 von davis/coltrane (zürich, kopenhagen, den haag). ganz lesenswert.

Weltwoche

Neues vom Ende von Miles Davis/John Coltrane
von Peter Rüedi

Es war eine Partnerschaft wie nur ganz wenige im Jazz, aber anders als der Weg aller Ehen in die alltägliche Routine gingen die beiden auch durch die Hölle. «Normal» war nichts an Miles Davis und John Coltrane, nicht an jedem einzeln und schon gar nicht an ihnen zusammen. Sie trafen sich, als der eine einen Heroinentzug eben hinter, der andere ihn noch vor sich hatte. Das konnte nicht gut gehen. Sie trennten sich, fanden sich wieder, und dann war ihre Begegnung nur noch mit der von Parker mit Gillespie zu vergleichen.Sie dauerte kaum drei Jahre.

Der Jazz und die Drogen: Diese Passionsgeschichte ist noch immer ungeschrieben. So offensichtlich das Thema, so marginal ist die Literatur darüber. Bei aller Untergeher-Romantik waltet da doch ein schweres Tabu. Nur so sind blinde Flecken in dieser Ecke der Sozial- und Kulturgeschichte zu erklären. Jedenfalls hing zur Zeit des Bebop, im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, jeder zweite valable Jazzer an der Nadel. Das lag an der urbanen Bohèmekultur ebenso wie an den ökonomischen Folgen der Prohibition. Gleichviel, auf dem Gift waren auch Davis und Coltrane, aber als sie es los waren, spielten sie ein paar der ganz grossen Platten des Jazz ein, «Milestones» (1958) und vor allem «Kind of Blue» (1959). Um nicht in den Verdacht des Moralismus zu geraten: Auch unter Drogen entstand von beiden Bemerkenswertes. Die Kontinuität der Arbeit, ohne die die Folgerichtigkeit namentlich von Coltranes proteischen Verwandlungen nicht denkbar wäre, hätte sich in der chaotischen Drogen-Subkultur nie ergeben.

Coltrane war bald auf der Überholspur. Innerhalb von zwei Jahren trieb er die Erforschung sogenannt modaler Spielweisen so dringlich voran, dass Davis sich dabei wie ein Restposten aus der Vergangenheit vorkommen musste. Dabei war er es, der als letzter Schrei gefeiert wurde. Im Frühling 1960 wollte Coltrane raus aus der Band, als eben eine längere Europa-Tournee anstand. Noch einmal liess er sich von Miles überreden, aber im Kopf war er bereits eine Etappe weiter, bei den radikaleren Delikatessen seines Quartetts mit McCoy Tyner und Elvin Jones. Er war nicht zu stoppen. Seine Soli wuchsen ins Endlose, die von Miles wurden immer fragmentarischer, das immer ähnliche Repertoire begann Coltrane bis zum Zerreissen zu strapazieren .

Von jener letzten gemeinsamen Tournee von Davis und Coltrane waren bislang zwei Konzertmitschnitte zugänglich, einer aus Stockholm (22.3.) und einer aus dem Kurhaus Scheveningen (9.4.). Jetzt, mit einem Schlag, überraschen uns britische Editoren mit drei weiteren: Tivoli Kopenhagen (24.4.), Kongresshaus Zürich (8.4.) und ein zweites Konzert vom 9.4.in den Niederlanden, in Den Haag.

Was sich auf dem Papier wie Jazzarchäologie ausnimmt, ist ein Knüller. Nichts ist so spannend wie Momente des Umbruchs: Die Konflikte knistern, Coltrane spielt kaum mehr mit Davis zusammen, die biedere, wenn auch swingende Rhythmusgruppe kann den Auftrieb von Coltrane in höhere Stratosphären nur gerade mit Mühe im Rahmen halten. Der ist entfesselt. Er rast keineswegs nur durch seine Scales, sondern sprengt den courant normal auch durch insistent repetitiven Widerstand, ostinates Querdenken und bis an die Grenzen der Tonlosigkeit röhrende Überblas-Passagen. Während Davis im Walzer «All Blues» neckisch «Zwei Herzen im Dreivierteltakt» zitiert, setzt Coltrane den Presslufthammer an den Fundamenten an. Zürich ist in dieser Hinsicht schon extrem, aber im Mitschnitt aus Den Haag vom Tag drauf geht er noch weiter, da haut ihm auch Miles zu Beginn eines Solos über «’Round Midnight» in einem eigentlichen Wutanfall die eigene Insistenz um die Ohren.

Ein halbes Jahr später kam Miles noch mal nach Europa. Nun war Coltrane weg, und mit Sonny Stitt, vor allem auf dem Altsax, machte die Band einen Salto rückwärts in die Idiomatik des Bebop. Der Mitschnitt aus Manchester (26.9.) ist deshalb besonders verdienstvoll, weil diese Frontline kaum dokumentiert ist. (Auf allen vier CDs blicken Bonus-Tracks voraus und zurück: in Miles’ kommende und vergangene Perioden.) Quer- und Längsschnitte durch Jazzgeschichte im Entstehen – es sind ziemlich magmatische Vorgänge, die hier zu erleben sind.

Miles Davis Quintet with John Coltrane in Copenhagen 1960. Gambit Records 69227
Miles Davis Quintet with John Coltrane: Live in Zürich. Gambit Records 69220
Miles Davis Quintet feat. John Coltrane: Live in Den Haag. Lonehill Jazz LHJ 10206
Miles Davis Quintet: Manchester Concert. 1960 live at the Free Trade Hall. LHJ 10212

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