Re: Die besten Hard Bop Alben

#3480767  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 68,340

Julian Priesters Debut-Album als Leader entstand am 11. Januar 1960 in den Reeves Sound Studios in New York und wurde auf Riverside veröffentlicht. Priester (*1935 in Chicago) hat seine Karriere als Berufsmusiker 1953 bei Sun Ra begonnen. Er blieb für ca. drei Jahre bei Ra, spielte dann mit Lionel Hampton und Dinah Washington, bevor er im Januar 1959 Mitglied des neuen Max Roach Quintett (mit den Turrentine Brüdern) wurde.
Schon auf den Aufnahmen mit Roach – „Quiet As It’s Kept“, „Long As You’re Living“, „Parisian Sketches“ – überrascht Priester mit einem extrem weichen, vokalen Ton, einer stimmhaftigkeit in seinen Improvisationen, die im (im weiteren Sinne) Mainstream-Jazz ihresgleichen bis heute nicht gefunden hat. Mit den Turrentines zusammen bildete er eine perfekte Frontline; der erratische Tommy an der Trompete glänzt auf diesen Aufnahmen, bei Stanley werden die sonst oft verschütteten Qualitäten hörbar, die einen rohen, emotionalen Solisten mit vokalem Ton zeigen.
Priester hat in jener Zeit auch mit Abbey Lincoln, Philly Joe Jones, Johnny Griffin, Buddy Rich, Blue Mitchell, und ganz besonders auf Booker Littles beiden schönsten Alben „Out Front“ und „& Friend“ mitgewirkt.
Das Solo-Debut auf Riverside präsentiert ihn mit einer erstklassigen Rhythmusgruppe: Tommy Flanagan und Jimmy Heath klingen so funky wie ich sie noch nie gehört habe und Elvin Jones ist auf dem Weg vom unkonvenionellen jungen Drummer zum grossen Polyrhythmiker. Fünf der acht Stücke entstanden im Quintett – und was Wunder: auch Jimmy Heath gefällt mir hier ganz hervorragend. Die Musik ist Bilderbuch-Hardbop: eingängige, machmal fast Ohrwurm-hafte Originals (geschrieben von Priester, sowie je eins von Heath und Charles Davis) sowie die Standards „Just Friends“ und „Once in a While“.
Was mir am Album so ausgezeichnet gefällt ist die Frische, die vor allem von Priester selber und von Jones ausgeht. Flanagan und Heath klingen anders als sonst, da sie beide aber (bei mir) nie in den Verdacht kommen, Hardbop-Klischees zu reihen, macht mir dieses Plus an Funkiness und bluesiger Spielweise bei beiden grossen Spass. Und auch Heath klingt eine Spur rauher… angerauht, im Vergleich zu seinem sonst eine Spur zu glattem Spiel auf seinen eigenen Riverside-Alben. Priester selbst ist aber front and centre hier – der nächste neue Posaunist nach Jahren der Dominanz von J.J. Johnson. Er spielt fast so flüssig wie dieser, aber sein Ton ist unglaublich weich und seine Spielweise vokal wie man das seit Benny Morton, Dicky Wells, Trummy Young oder Vic Dickenson nicht mehr gehört hat. Dabei klingt er überhaupt nicht nach diesen (mit Ausnahme Mortons) viel rauheren Musikern, was die stimmhaftigkeit und Expressivität seines Spiels noch viel eindrücklicher macht. Es ist genau diese Kombination aus Lyrizismus und Emotionalität, die Priester für mich zu einem der grössten Posaunisten des Jazz machen.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba