Re: Die besten Hard Bop Alben

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gypsy-tail-wind
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Ich weiss eigentliich gar nichts über Nicky Hill, ausser, dass er toll spielt, mit einem robusten grossen Sound (aus der Rollins-Ecke wohl). Er gehört zum Chicagoer Jazz und man kann ihn z.B. auf Ira Sullivans Delmark-Album „Nicky’s Tune“ (1958) hören. Am bekanntesten dürfte er für sein Erscheinen auf den Bee Hive Aufnahmen von Clifford Brown/Max Roach (1955) sein. 1957 taucht er auf dem ersten Album von Walter Perkins‘ MJT + 3 auf (die spätere Version dieser Gruppe hat um 1959/60 eine Reihe schöner Alben aufgenommen, Frank Strozier spielte zu diesem Zeitpunkt Sax). Eine weitere Aufnahme entstand am 1962er Parker Memorial Konzert, wieder mit Ira Sullivan – ich kenne sie leider noch nicht.

Das ist wohl schon in etwa alles, was einigermassen verbreitet ist (AMG hat nur Brown und die Sullivans, MJT ist nicht in den Credits von Hill).

Vielleicht mag jemand im grösseren Stil suchen, ich wollte Hill nur kurz erwähnen, da wir auch schon u.a. über Frank Haynes geschhrieben haben.

Ira Sullivan also… er ist der seltene Fall eines Musikers, der sowohl auf Trompete als auch auf diversen Saxophonen daheim ist (mir fällt spontan nur grad Howard Johnson ein, der sich aber auf das „bottom end“ mit Tuba und Barisax spezialisiert hat, man kann ihn hie und da auch an der Trompete hören). Sullivan kann man z.B. als Trompeter auf J.R. Monterose’s Debut-Album auf Blue Note hören, als Tenorist auf dem grossartigen Signal/Savoy-Album von Red Rodney (das oben schon erwähnt wurde – und eine tolle Trompeten-Battle gibt’s natürlich auch auf einem Stück), oder später auch mit Eddie Harris, Philly Joe Jones, Red Garland, Lin Halliday, und wieder mit Rodney in den 80ern.
Zwei der schönsten Alben unter seinem eigenen Namen passen sehr gut in die erweiterte Hardbop-Diskussion hier (für einen Platz in meiner Lieblingsliste find ich v.a. das zweite nur knapp nicht gut genug):


Das erste Album ist eben dasjenige mit Nicky Hill. Die Rhythmiker stammen allesamt aus Chicago, Jodie Christian (Eddie Harris) und Wilbur Campbell (Von Freeman) gehören wohl zu den besten und bekanntesten Sidemen der Szene. Sproles tauchte in den 60ern auch mal kurz bei Blue Note auf (etwa auf Lee Morgans „The Rumproller“), er hat einen fetten Sound und pflegt ein flexibles, schwingendes Spiel. Christian spielt dichte, harmonisch üppige Begleitungen und Soli, und Campbell treibt das ganze auf eine eigenartige, scheppernde, aber swingende Art und Weise voran. Sullivan beschränkt sich auf die Trompete und passt bestens zu Hills robustem Spiel.
Das zweite Album entstand 1959 mit derselben Gruppe aber Johnny Griffin anstelle von Hill. Es gefällt mir noch eine Spur besser, wozu auch die grössere Vielfalt an Klängen beitragen mag: JG spielt neben dem angestammten Tenor auf einem fast 20 Minuten langen Blues auch Alt- und Barisax, Sullivan wechselt zwischen Trompete, Alt- und Barisax sowie dem Tenorhorn („peck horn“). „My Old Flame“ präsentiert Sullivan im Quartett am Barisax, er hat einen grossen, weichen Sound, nutzt aber dennoch das Potential des Instruments, lotet auch mit kernigen Tönen die Tiefe aus.
Der lange, schnelle Blues beginnt mit einem Piano-Solo, dann folgt ein Barisax-Solo, ziemlich sicher von Griffin. Das erste Altsax-Solo demgemäss vermutlich von Sullivan, zeichnet sich durch einen satten, leicht cremigen Ton aus, bleibt recht nahe beim Vorbild von Parker, aber der Ton und die stellenweise sehr langgedehnten Linien heben es ein wenig ab. Christian/Sproles/Campbell glänzen in der Begleitung… und Sullivan kann grad noch an sich halten und das „Blue Moon“-Zitat umbiegen in ein paar Triller, he he he… sehr schön danach die rhythmisierte Passage und wie Campbell drauf einsteigt. Hm, da nach dem Altsax nahtlos ein Trompetensolo folgt muss wohl das Barisolo von Sullivan und das Altsolo von Griffin sein? Seltsam… dachte, ich hätte im Barisolo ein paar typische Griffin-Licks erkannt… und dass dieses Altsolo von Griffin sein soll erstaunt mich ein wenig! Jedenfalls folgt Griffin dann auf dem Tenor und bläst ein tolles, rasantes Solo. Darauf folgt Sullivan mit seinem Tenorhorn. Der Ton ist dünn und wenig voluminös, klingt an eine Mischung aus Horn und Posaune (und ziemlich wenig nach Euphonium). Und nun folgt also Griffin am Tenor, und ja, das ist er, eindeutig! Erstaunlich, wie nahe sich die Spielweisen der beiden auf den diversen Saxophonen sind! Und dann Sullivan am Altsax… auch er stark von Parker geprägt, mit einem etwas satteren Sound… und in der Tat, wie in seinem Barisax-Solo fällt er immer wieder in diese rasanten Stotter-Linien, wie Griffin sie zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Nach einem kurzen Drum-Solo folgt dann noch das Thema mit Trompete/Tenor – eine überzeugende Darbietung! Zum Ende gibt’s auf der CD noch einen Alternate Take von Campbells Stück „Wilbur’s Tune“, das die CD schon eröffnet hatte. Ein sehr, sehr schönes Album!

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