Re: Die besten Hard Bop Alben

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gypsy-tail-wind
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Ich glaub sein Name ist hier noch nicht aufgetaucht, und dabei handelt es sich bei ihm doch für mein Empfinden für DEN Hardbop Barisaxer, und einen der grossen auf seinem Instrument überhaupt! Anscheinend gab er sich gerne arrogant und liess ausser Harrey Carney keinen gelten (Mulligan klänge nach Tenor, Chaloff sowieso viel zu weich etc) – kann er sich ja auch erlauben, bei dem schneidenden, kernigen Ton, den er sich erarbeitet hat. Sein Übername war entsprechend „The Knife“.

Geboren 1930 in Highland Park, IL, liest sich sein Werdegang eindrücklich: er kam als Kind nach Detroit, wo er bis 1956 verwurzelt blieb und dann mit der grossen Welle nach New York kam, hat mit Stank Kenton, Kenny Burrell, Mel Lewis, Maynard Ferguson und Chet Baker gearbeitet, Aufnahmen mit Kenton, Lennie Niehaus, Howard Rumsey, Kenny Clarke, Paul Chambers und Lee Morgan gemacht, bevor er im Juli 1957 sein eigenes erstes Album, „Pepper Adams Quintet“, für das West Coast Label Mode (von VSOP auf CD wiederaufgelegt), einspielen konnte. An seiner Seite ein paar der besten Musiker, die man in jener Zeit in Kalifornien antraf: Stu Williamson (t), Carl Perkins (p), Leroy Vinnegar (b) und Mel Lewis (d). Mögen Williamson und Perkins „typische“ West Coast Jazzer sein, so lag der Sachverhalt bei der Rhythmusgruppe schon ziemlich anders, Vinnegar mit seinem fetten Sound und Lewis sorgen dafür, dass die Musik nie zu sehr abkühlt. Wie immer ist es eine Freude, Carl Perkins zuzuhören! Adams selbst ist auf „Unforgettable“ eher lyrisch und sanft, aber in der schnellen Version von „Baubles, Bangles and Beads“ brennt sein Feuer lichertloh. Die zweite Hälfte des kurzen Albums besteht dann aus zwei seiner Originals, „Freddie Froo“ und dem tollen Closer „Muezzin“, dazwischen die schöne Ballade „My One and Only Love“.

Im August entstand noch in Kalifornien Adams zweites Album, „Critics Choice“ (World Pacific). Den fast völlig unbekannten Trompeter Lee Katzman traf Adams in der Stan Kenton Big Band, die Rhythmusgruppe war wieder hervorragend besetzt mit Jimmy Rowles (p), dem Detroiter Doug Watkins (b) und Mel Lewis (d), mit dem Adams noch längere Zeit zusammenspielen würde. Die Stücke sind zu einem grösseren Teil aus der Detroiter Szene und wurden von Thad Jones, Tommy Flanagan („Minor Mishap“, das auch auf dem Album „The Cats“ zu finden ist, das Flanagan mit John Coltrane, Idrees Sulieman, Kenny Burrell, Watkins und Louis Hayes im selben Jahr einspielte), Barry Harris und Adams, sowie der Standard „Alone Together“. Die CD (auf dem Mighty Quinn Label erschienen) enthält zudem einen Bonus Track von Pepper Adams, das schöne „Four Funky People“. Funky, ja… Rowles und Watkins bringen eine gehörige Prise Funk ins Geschehen, schon in „Minor Mishap“, aber erst recht im „Blackout Blues“. Wunderbar relaxt spielt hier auch Adams, aber stets mit seinem muskulösen, kernigen Sound. Auf Barry Harris‘ eleganten „High Step“ folgt der Thad Jones-Klassiker „Zec“, dann die Ballade, die Adams völlig in Besitz nimmt. Jones‘ „5021“ ist wieder ein relaxt swingendes Stück mit elegantem Rowles-Solo. Zum Ende dann der funky Bonustrack mit Watkins und Rowles.

(Im Sinne einer full disclosure: Fresh Sound hat einen zusammengestohlenen – aber in Europa völlig legalen – Twofer mit den beiden kalifornischen Alben herausgegeben. Und wie fast alle Mode-Alben ist „Pepper Adams Quintet“ sehr kurz, etwa 30 Minuten.)

Ende 1957 entstand dann Adams drittes Album, „The Cool Sound of Pepper Adams“ (zuerst auf Regent, dann auf Savoy).

Das Album klingt anders, nach Ostküste. George Duvivier ist zwar nicht der grosse Hardbop-Bassist, der Watkins ist, aber mit Elvin und Hank Jones formt er eine tolle, harter swingende Rhythmusgruppe als auf den beiden Alben aus Kalifornien. Dunkler ist auch der Sound der Bläser – Adams und Bernard McKinney am Euphonium, eine Kombination, die ich sonst von nirgends kenne (McKinney hat später als Kiane Zawadi auch mit Freddie Hubbard oder McCoy Tyner aufgenommen). Auch wieder ein kurzes Album, nur vier Stücke, aber sehr hörenswert!

Im März 1958 nahm Adams mit Jimmy Knepper unter dem Bandnamen „The Pepper-Knepper Quintet“ ein sehr schönes Album für Metrojazz auf. Die Rhythmusgruppe ist erstklassig: Wynton Kelly (p), Doug Watkins (b) und Elvin Jones (d). Ein wunderbares Hardbop-Album mit zwei sehr spannenden Solisten (übrigens beide weiss, was ja im Hardbop schon eher eine Ausnahme war, oder?). Kelly bringt sein stimmungsvolles Spiel schön zur Geltung und auf dem Ellington-Klassiker „I Didn’t Know About You“ spielt er für einmal auch Orgel.
Im April 1958 brachte Adams seine eigene Band ins Five Spot. Riverside nahm das Quintett auf und gab eins von Adams schönsten Alben heraus: „10 to 4 at the 5 Spot“:

Mit seinem künftig regelmässigen Partner Donald Byrd an der Trompete und einer tollen Rhythmusgruppe bestehend aus Bobby Timmons (p), dem grossen Doug Watkins (b) und Elvin Jones (d) entstand ein Album, das stark von Detroit geprägt ist: alle Musiker ausser Timmons kamen vor dort, zudem wird neben Adams und Byrds Kompositionen zum Auftakt ein Stück von Thad Jones dargeboten, „‚Tis“. Die Musik swingt wunderbar, Watkins mit seinem grossen Sound und tollen Time (für mich ist er der perfekte Hardbop-Bassist, noch vor Paul Chambers!) steuert auch mal ein gestrichenes Solo bei (auch das konnte er bessern, wenngleich vielleicht weniger intensiv als Chambers), Jones hält sein Spiel wie meist in dieser frühen Zeit leichter und luftiger, als man das von später gewohnt ist. Timmons bedient die Funk- und Soul-Klischees, ohne sich ihnen je ganz auszuliefern, und der lyrische Byrd bietet einen perfekten Kontrapunkt zum hart-swingenden Adams.
In den folgenden Jahren entstanden von Byrd/Adams sechs Studio-Alben für Blue Note, sowie die schönen Live-Aufnahmen vom Half Note (zwei LPs, für die Doppel-CD-Ausgaben erweitert). Daneben entstanden ein Album für Warwick und mit Kenny Burrell ein All-Star Album für Bethlehem.

Und zwischen all diesen Aufnahmen und Aktivitäten fand Adams Zeit, mit Curtis Fuller, Quincy Jones, Manny Albam, Frank Wess, Gene Ammons, Benny Goodman, Johnny Griffin, Toots Thielemans, Shorty Rogers, Chet Baker, Charles Mingus, Howard McGhee, Duke Pearson und anderen aufzunehmen.

Ein Album, das ganz allein der Musik Mingus‘ gewidmet ist, entstand 1963 – mir ist unklar, ob es auf Workshop Jazz oder Jazz Workshop (Mingus‘ Label) erschienen ist. Die CD kam auf Fresh Sound raus. Zum grössten Teil wurde das Album im Quintett eingespielt, mit Thad Jones (t), Hank Jones (p), Paul Chambers (b) und Dannie Richmond (d), drei Stücke entstanden im Oktett mit den zusätzlichen Musikern Benny Powell (tb), Charles McPherson (as), Zoot Sims (ts), sowie Bob Cranshaw anstelle von Chambers. Es scheint, dass Mingus bei der Auswahl der Stücke ein Wort mitgeredet hat, Teddy Charles (mit dem Mingus auch gespielt hatte) hat produziert und auch das Arrangements von „Song with Orange“ beigesteuert. Den Rest der Stücke haben Thad Jones und Pepper Adams arrangiert. Der Musik fehlt dieses ganz spezielle rhythmische Feuer, diese immer hörbare Aussergewöhnlichkeit, die man bei Mingus ab ca. 1954 oder 1955 stets spüren kann, aber das Album ist doch ganz schön. Und natürlich sind die Solisten in Form… Jones hat selber ja mit Mingus 1954 ein paar seiner allerschönsten Aufnahmen gemacht, Adams spielte bei „Blues & Roots“ mit, McPherson war um diese Zeit wohl noch nicht in Mingus‘ Band, stiess aber wenig später für längere Zeit dazu, und Richmond war ja fast immer mit dabei. Hank Jones hat bestimmt auch seit den 40ern immer wieder mit Mingus gespielt, und er mag auf den ersten Blick eine etwas seltsame Wahl sein, aber er spielt aussergewöhnlich gut, sowohl in den Ensembles als auch solistisch. Chambers und Cranshaw übernehmen die schwierige Aufgabe, Mingus zu ersetzen, einigermassen souverän – Mingus selbst hatte ja Doug Watkins als Stellvertreter gewählt für sein Piano-Album „Oh Yeah“ auf Atlantic, aber der war leider im Jahr zuvor verstorben.

1966 entstand mit Mel Lewis und Thad Jones (sowie Duke Pearson und Ron Carter) das Album „Mean What You Say“. In der folge war Adams der Anker der Sax Section (und ja, der ganzen Band) sowie einer der aufregendsten Solisten der tollen Big Band, die Jones-Lewis gemeinsam gründeteten und für einige Jahre leiteten (später übernahm Jones sie). Er war zudem weiterhin auf vielen Aufnahmen anzutreffen, etwa Blue Note Sessions von Stanley Turrentine, Blue Mitchell und Lou Donaldson, aber auch Alben von Duke Pearson (der manche dieser Blue Notes arrangiert und produziert hatte), Joe Zawinul, oder zwei schönen Alben von Barry Harris („Bull’s Eye“ und „Luminescence!“ – ich hab über diese beiden im Piano-Thread mal kurz geschrieben).
1968 entstand ein weiteres schönes Album unter dem Namen von Pepper Adams und seinem Co-Leader Zoot Sims, „Encounter!“

Adams spielte in den späten 60ern und den 70ern u.a. mit Elvin Jones, Aretha Franklin, Mose Allison, Richard Davis, David Amram, Johnny „Hammond“ Smith, Esther Phillips, Lalo Schifrin, und auch weiterhin mit Donald Byrd, Quincy Jones, Stanley Turrentine und dem Jones/Lewis Orchestra.
1975 nahm er für Enja ein wunderbares Quartett-Album unter dem Titel „Julian“ (gemeint ist Adderley) auf. Begleitet wurde er dabei von Walter Norris (p), George Mraz (b) und Makaya Ntshoko (d). Ein weiteres Highlight!
1977 enstand unter der Leitung des Kollegen Nick Brignola das Album „Baritone Madness“, 1979 nahm er an einer schönen Aufnahme mit Helen Merrill Teil („Chasin‘ the Bird“, ein Konzept-Album, das Dick Katz für Merrill um die Musik von Charlie Parker und George Gershwin arrangiert hat).
Adams blieb bis zu seinem Tod 1986 sehr aktiv und nahm auch als Leader noch einige weitere Alben auf, aber ich kenne sie zum grössten Teil noch nicht.

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