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Herr Rossi
Burt Bacharach. Seine Kunst bestand ja darin, eine ziemlich ausgefuchste Kunstmusik leicht und eingängig klingen zu lassen. Tom Waits ist für mich genau das Gegenteil. Er umgibt seine meist doch recht altmodischen, oft sentimalen Melodien mit den immer gleichen Tricks mit der Aura des Verschrobenen, Genialischen, und macht uns das Rumpelstilzchen.
Zunächst, ich sehe Tom Waits nicht als jemanden, der mit der Tradition bricht: im Gegenteil, ich glaube, er arbeitet innerhalb einer sehr wichtigen Tradition. Natürlich muss man betonen, dass es nicht nur eine Tradition gibt, sondern viele Traditionen. Jeder Musiker arbeitet innerhalb einer oder mehrerer Tradititionen. In Tom Waits´Fall reicht die Liste der Künstler, zu denen seine Platten eine Affinität haben, weit zurück – sie beginnt mit Homer (aber ich nehme an, alles beginnt bei Homer), doch dann geht es weiter mit Shakespeare, Louis Amstrong, dann James Brown, dann Harry Partch, doch Elton John wohl nicht, nicht Rod Stewart, bestimmt nicht Lady Gaga, aber gewiß Captain Beefheart, und bis hinein ins zwanzigste und einundzwanzigste Jahrhundert, Kerouac natürlich ,Roy Orbison, Eels, Leonard Cohen,Eminem, Bob Dylan, Portishead, Howlin´Wolf, Tricky, Charles Bukowski, Glenn Gould, Maria Callas, Prince, Harry Belafonte. Wie du siehst, verläuft seine Linie nicht durch einen bestimmten Typ von Künstler.
Tom Waits hat also, wie wir sehen können, nichts Neues eingeführt, auch gibt er nicht vor etwas Neues eingeführt zu haben. Er erkundet einfach eine Methode, die es schon lange gibt, seit den Tagen Homers, der einer der am intensivsten über sich selbst reflektierenden Schreibenden ist, die man sich vorstellen kann.
Tom Waits: „Ja, meine Musik ist eine moderne Ruine. Aber im Grunde beträfe das unsere gesamte Umwelt, oder? Schauen sie sich diesen Laden an mit all seinen alten Radiogeräten und dem Staub – und dennoch gibt es da hinten eine moderne Registrierkasse und einen Internetanschluss. Die Zukunft trifft Dinge, die 200 Jahre auf dem Buckel haben. Diese Töpfe dort mögen aus dem 18. Jahrhundert stammen. Ich hasse nichts mehr , als wenn man einen Film sieht, der in den Dreißigern spielt – und ausnahmslos jeder Gegenstand ist aus dieser Ära. Das ist absoluter Mist. Wenn du aufnimmst, ist alles wertvoll, was einen Klang erzeugt.“
Und Cath Carroll:
„Auf seinen Alben, die er in den Achtzigern und Neunzigern veröffentlichte, ist Waits diesem dezidiert primitivistischen Ansatz treu geblieben. Während der Mainstreamrock, wie er vor allem in den mittleren Achtzigern gemacht wurde, von kreischenden, theatralisch anschwellenden, kostspieligen Stadionsounds mit viel Hall und Flanger-Effekten geprägt war, kaprizierte er sich auf einen abgehackten, blechernen und trockenen Produktionsstil. Das heißt nicht, dass er von den stetig anwachsenden Möglichkeiten elektronischer Produktion und Klangerzeugung keinen Gebrauch gemacht hätte, im Gegenteil. Aber wenn er mit seinen Klangexperimenten die Demarkationslinien zwischen den Genres verschob, dann tat er dies, ohne gleich die gefürchteten Geister einer ´progressiven´und ´experimentellen´Rockmusik anzurufen, in der Technik und Technologie längst zum Selbstzweck verkommen waren. Dieses Kunststück ist ihm möglicherweise nur gelungen, weil er seine Identität als Songwriter nie aufgegeben hat. Waits hat die Farbskala zeitgenössischer Musik kräftig aufgemischt, doch anstatt die Vergangenheit zu verleugnen und die Augen vor der Zukunft zu verschließen, hat er beide Enden der Geschichte zu einem Blind Date gebeten und sie dann allein gelassen, damit sie gemeinsam ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausfinden können.“
Zieht man die ganzen Kirmeseffekte ab, bleiben in der Substanz Songs, die populär genug sind, das Hollywoodstars, Operndiven, Altrocker und kölsche Mundartkünstler sie singen wollen.
Johnny Cash, Elvis Costello, Norah Jones, The Ramones, Bruce Springsteen, John Baez, Meat Loaf, Bon Jovi, M.I.A., Peter Gabriel, Queens Of The Stone Age, Lee Hazlewood, Marianne Faitfull, Solomon Burke, Robert Plant/Alison Krauss, Steve Earle, Willie Nelson, Booker T., Pearl Jam, The Pogues, Primus, Bob Seger, Neko Case, Eleni Mandell, Tindersticks, Violent Femmes, Wolfgang Ambros, Ute Lemper, Rod Stewart, The Low Anthem, Holly Cole, Curtis Stigers, Bill Frisell, Emiliana Torrini, Jennifer Warnes, Blind Boys Of Alabama, Neville Brothers, Wedding Present, Tim Buckley, The Eagles, Bette Midler, Jolie Holland, Cat Power, Scarlett Johansson. Sofie von Otter, Paul Young, Rickie Lee Jones, Diana Krall, Frank Black, John Hammond, Southside Johnny, Tori Amos, Lucinda Williams, Ana Ternheim, Sophia, Phish, Gogol Bordello & Kirk Hammett (Metallica), Smashing Pumpkins, Great Lake Swimmers, T-Bone Burnett, Canned Heat, Agnes Bernelle, Dion (DiMucci), Jerry Jeff Walker, Ian Matthews, Helen Schneider, Los Lobos, Eels, Jane Birkin, Moneybrother, Solveig Slattahjell, Jesse Malin, Joe Bonamassa, G. Rag, Sarah McLachlan, Sarah Jane Morris, Linda Thompson, Madeleine Peyroux, Kaizers Orchestra, Jeffrey Lee Pierce (Gun Club), Lydia Lunch,, 10.000 Maniacs, Natalie Merchant, Nancy Griffith, Richard Hawley, etc.
Tom Waits macht also auch „Populärmusik“.
Tom Waits ist ein Songwriter, der sich gelegentlich auch des Rock´n´Rolls bedient, aber nie des Pops, so wie ich ihn verstehe. Ich halte ihn gleichzeitig für einen recht guten Balladen-Sänger und in den letzten Jahren auch für einen passablen Komponisten von Stücken, die mit all dem nichts zu tun haben.
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