Re: Musiker, mit denen ihr nichts anfangen könnt?

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canzione

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Harry RagAuthentizität (oder wie Staiger es so gerne schreibt: Authenz…hihi), die man sich von außen attestieren lassen muss, interessiert mich bei Musikern eher weniger.

Gutes Zitat aus einem Spiegel-Interview dazu:

SPIEGEL: Ist es nicht ein Widerspruch, dass Sie in einem Familienidyll auf dem Land leben und trotzdem Songs über unerfüllte Liebe, Sehnsucht und Verzweiflung schreiben?

Tom Waits: Ich finde das nicht seltsamer, als wenn jemand in der Stadt lebt und Country-Songs singt. Wenn man Musik macht, ist die innere Landschaft mindestens so wichtig wie die äußere.

Tom Waits´Schlussfolgerung, dass es etwas wie Aufrichtigkeit (Authentizität) im Bereich der Kunst (Musik) nicht geben könne, wäre jedoch nur dann richtig, wenn die reale Erfahrung des Singenden/Komponierenden der Ort wäre, an dem über die Authentizität eines Songs entschieden würde. Nichts ist aber abwegiger als die Frage, ob Tom Traubert/Tom Waits tatsächlich so viel Whisky getrunken hat, wie er singend behauptet. Die Authentizität des Songs liegt nicht hinter ihm in der überprüfbaren Erfahrung des Sängers, sie ist auch keine bloße Projektion des Hörers; vielmehr entsteht sie zwischen Sänger, Hörer und Song.

Der Hörer, von dessen Anerkennung der Song/Text abhängt, scheint dabei in der Position des Überlegenen. Aber was ihn an den Song/Text bringt, ist ein Mangel, seine Sprachlosigkeit. Er kann sein Leiden nicht sagen, es bleibt in ihm verschlossen. Erst der Song gibt ihm Sprache. Der Hörer findet sich im Ausdruck des andern. Die Authentizität, die er dem Sänger zuspricht, der sein Leiden für ihn inszeniert hat, ist auch Produkt seiner Verstehensarbeit, die derjenige andere Hörer aufnimmt und weiterführt, vielleicht aber auch abbricht*.

* Siehe „Musiker, mit denen ihr nichts anfangen könnt“

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