Re: THE CARDIGANS: ‚Super Extra Gravity‘

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Als kleine Wiedergutmachung für die SPIEGEL-Online-Kritik:

Text: F.A.Z., 29.10.2005, Nr. 252 / Seite 46 // FAZ.NET

Dauerhafter als Wolle
Von Andreas Rosenfelder

28. Oktober 2005 Der simpelste Schlagzeugbeat des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts erklingt auf den ersten Umdrehungen des neuen „Cardigans”-Albums „Super Extra Gravity”. Er besteht aus einer Snare, im Viervierteltakt durchgeschlagen wie eine Kindertrommel. Nichts weiter.

Es hilft nichts, die Anlage lauter zu drehen – auch so tauchen keine versteckten Details und vertrackten Brechungen auf. Der Rhythmus, der die zittrige Bluesgitarre und Nina Perssons ungewohnt rauchige Stimme in „Losing a Friend” unterlegt, beschränkt sich ganz auf die vier schnarrenden Schläge pro Takt. Mehr kann man nicht weglassen.

Auch wenn Schlagzeuger Magnus Sveningsson im Lauf dieses mit derber Passion aufgeladenen Songs ein paar gedämpfte Einsprengsel dazwischenwirft und im Refrain sogar die ganze Maschine anwirft: Das Eröffnungsstück verkörpert den vollkommenen Rückzug auf die Essenz. Und „Super Extra Gravity” ist tatsächlich ein sehr erdiges Album geworden, in dem zusätzliche Gravitationskräfte wirken und für Experimente mit Schwerelosigkeit kein Platz ist. Natürlich eiern auch hier noch ab und zu seltsame Keyboards durch den Luftraum, natürlich ertönen im Hintergrund immer wieder Gitarren mit spukigen Halleffekten. Es wäre kein Werk der „Cardigans”, wenn diese mysteriösen Schauer fehlen würden.

Aber im Kern ist das jüngste Album der Band ein fast archetypisches Rockalbum, getragen von ungewohnt schroffen Gitarrenriffs und vor allem der wunderbaren Stimme von Nina Persson, die jetzt offenbar ihre volle Amplitude erreicht hat und von der betörenden Süße der frühen Alben weiter entfernt ist denn je.

Als sich die „Cardigans” in den frühen neunziger Jahren in der schwedischen Kleinstadt Jonköping kennenlernten, hörten sie klassischen Hard Rock. Nur wer die Momente pathetischer Schwere in „Life” von 1995 – eines der unvergeßlichen Alben mindestens des Jahrzehnts – überhört hat, konnte diese Band jemals mit Nichtgattungen wie Fahrstuhlmusik oder Zuckerpop in Verbindung bringen. Trotzdem zeigte das Quintett zuletzt mit dem folkigen Album „Long Gone Before Daylight”, einem Meisterstück der Kompositionskunst, einen Hang zum Überharmonischen und zur schwermütigen Wohlfühlmusik.

Mit dem schnörkellosen und ungeschliffenen „Super Extra Gravity” scheint die Band jetzt zu ihrer frühen Prägung durch harten Rock zurückzukehren. Auch hier bleibt die traurigschöne Ballade jene Gattung, auf die sich die „Cardigans” am besten verstehen. Da ist zum Beispiel der zerbrechliche Song „Overload”, ein wie an der Whiskeybar komponiertes Stück im schunkelnden Triolentakt. Oder „Holy Love”, eine Überhöhung der irdischen Liebe, deren Refrain mit seinem Doppelgesang fast an den Monumentstil von Hard-Rock-Bands wie „Guns ‚N Roses” erinnert. Und „And Then You Kissed Me II” knüpft auf wunderschöne Weise an das zerbrechlichste Stück des Vorgängeralbums an.

Aber nach langer Zeit liefern die „Cardigans” auf ihrem neuen Album auch wieder eine Reihe druckvoller Songs, die im Gedächtnis haften. „Godspell” zum Beispiel lebt von röhrenden Gitarrenparts, einem dahingeknüppelten Schlagzeugbeat und Nina Perssons erhabenem Gesang, der ein jüngstes Gericht über die Religionen dieser Erde hält. Und je öfter man das neue Album durchhört, desto mehr Feinheiten und kleine Wunder entdeckt man in diesen elf kurzen Songs, die beim ersten Hören wie aus einem Guß produziert wirken und in ihrer reifen Klassizität fast keine Eigenschaften zu besitzen scheinen.

Man darf sich halt nicht täuschen lassen und Einfachheit mit Einfallslosigkeit verwechseln. Auch wenn aus diesem Album kein Meer von in bizarren Farben schillernden Klangblasen emporsteigt, enthält es Rätsel wie „In The Round”, das von einer seltsamen Unruhe beherrscht wird und diesen Hauch von Mystery-Thriller besitzt, der viele Stücke der „Cardigans” auszeichnet. Nur muß die Band inzwischen nicht mehr ihren eigenen Exotismus in Szene setzen. Wenn man Popmusik auf das nackte Gerüst reduziert, bleibt oft nur das Selbstverständliche übrig – die „Cardigans” dagegen bewahren auch als Minimalisten ihr Geheimnis.

Cardigans, Super Extra Gravity. Stockholm 987 2837 (Universal)

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