Re: Mikkos 7" Faves

#3431147  | PERMALINK

mikko
Moderator
Moderator / Juontaja

Registriert seit: 15.02.2004

Beiträge: 34,399

MC5 – Kick Out The Jams / Motor City Is Burning (Metronome, 1969)

1969 war das Jahr des internationalen Vietnam Kongress in Berlin. Es war das Jahr, in dem der Traum der Blumenkinder von Frieden und Gleichheit unter allen Menschen endgültig begraben wurde. Spätestens in Altamont. Aber natürlich hatte die Politisierung der Popmusik schon viel früher begonnen. 1968 war eigentlich das Jahr des großen Umbruchs. Nicht umsonst spricht man ja auch heute noch von den „68-ern“. Im Jahr 1969 wurde für die, die es sehen wollten, dann schon klar, dass die Revolution kein Kindergeburtstag und kein großes alternatives Happening werden würde. Im Frühjahr 69 war ich das erste Mal auf politischen Demonstrationen. Da ging es um die verschiedensten Sachen, von der sexuellen Befreiung über die Raucherecke auf dem Schulhof meines Gymnasiums bis hin zu aktuellen Kürzungen im Bildungsetat des Berliner Senats. Mit roten Fahnen fuhren wir im offenen VW Cabriolet über den Ku-Damm. Und aus der Lautsprecherbox des tragbaren „Uher Report“ dröhnte „Kick Out The Jams“ – unter anderem. Die MC5 waren wohl nur vordergründig eine Politrockband. Wichtig war ihnen der pure Adrenalinstoß. Gepusht von lauten, schnörkellosen Gitarrenriffs und donnernden Rhythmen. Live müssen sie eine enorme Power gehabt haben. Obwohl sie damals auch in Berlin waren, hab’ ich sie leider nicht gesehen. Ihre erste Platte wurde live in Detroit aufgenommen. Und die beiden Tracks dieser Single stammen aus jener Session. „Kick Out The Jams“ wurde schnell zum Schlachtruf und Signature Tune von Demonstrationen weltweit. Den fünf Musikern ging es aber wohl vor allem um ihren Spaß und um den wahren Rock’n’Roll. Dies hier ist übrigens die entschärfte Fassung, bei der es zu Beginn heißt: „Kick out the jams, brothers and sisters!“ Die Rückseite ist eine schon fast traditionelle Bluesrock Nummer aus der Feder von Fred „Sonic“ Smith. Ich habe diese Single erst sehr viel später gekauft. Auch die LPs der MC5 entdeckte ich erst richtig 7-8 Jahre später, als sie von den 77er Punks als Inspiration und Vorbild genannt wurden. Zum Preis der Single kann ich nichts genaues sagen. Leicht zu finden ist sie aber als deutsche Pressung wohl nicht.

Ton Steine Scherben – Macht kaputt was euch kaputt macht / Wir streiken (TP 1001, 1970)

Ein Jahr später war es wie gesagt vorbei mit der Unschuld der Revolte. Es gab die RAF, es gab Tote, und es gab die zum Teil kopflose Überreaktion des Staates. Ich lebte allerdings in meiner behüteten kleinbürgerlichen Hippie Welt in Berlin Steglitz, wo die Probleme mit dem anderen Geschlecht für einen 16-jährigen Oberschüler weit existenzieller waren als die Weltrevolution. Dennoch hat diese Single schon damals den Weg in meine Plattensammlung gefunden. Es war eben auch eine Zeit des Ausprobierens und der Neugier auf Neues. Und diese Platte war die erste Eigenproduktion, von der wir in unserer Clique was mitbekamen. Später hab’ ich die Scherben dann auch ein paar Mal live gesehen, unter anderem bei 1. Mai Demos auf einem Lastwagen spielend. Seltsamerweise war mir der Text der beiden Songs fast egal damals. Links und revolutionär zu sein war „in“. Deshalb gehörten diese Lyrics einfach dazu, obwohl sie mit meiner eigenen Erfahrung eigentlich gar nicht korrespondierten. Musikalisch fand ich beide Tracks – und ich bin eigentlich noch immer dieser Meinung – ziemlich bedeutend. Diese schweren Gitarrenriffs, die eindringliche hypnotisierende Basslinie. Fast so etwas wie Proto Metal. Bedrohlich dräuend auch der heisere rausgeschriene „Gesang“. Die Single Version von „Macht kaputt“ ist übrigens viel besser gespielt und produziert als die Live Version auf der ersten LP der Band. Die 1000er Startauflage der Single war im Frühsommer 1970 innerhalb weniger Wochen vergriffen. Ganz ohne Vertrieb. Die Musiker haben die Platte selbst in die wenigen Platten- und Buchläden getragen, die so etwas verkaufen wollten. Danach gab es aber noch viele Nachpressungen, die leider nicht zu unterscheiden sind. Wie selten und teuer die Single ist, kann ich nicht sagen.

Edgar Broughton Band – Hotel Room / Call Me A Liar (Harvest, 1971)

Auch die Edgar Broughton Band aus England galt als Politrock Combo. Und auf ihren LPs finden sich ja auch immer wieder explizit politische Songs. „Hotel Room“ ist aber doch weit eher eine schöne relaxte Popsingle. Über einem ständig wiederholten stark verhallten Akustikgitarrenakkord setzt sogleich eine wunderschöne Slide-Gitarre ein. Auch der Gesang ist stark verhallt. Die Melodie eher schlicht aber deshalb nicht weniger beeindruckend. Nach der ersten Strophe setzt auch noch die Rhythmusgruppe ein. Und nach der zweiten Strophe erklingt im Hintergrund ein sphärischer Frauenchor. Einen richtigen Refrain gibt es gar nicht, es sein denn man bezeichnet die Schluss-Strophe als solchen. Es gibt drei unterschiedliche Melodieteile und ein paar Überleitungen. Die Atmosphäre des Tracks ist sehr entspannt und fast ein bisschen hymnisch. Alles ist sehr gekonnt arrangiert und durchproduziert. Bei den Lyrics bin ich mir nicht sicher, was sie eigentlich bedeuten sollen. So ein wenig pseudophilosophisch kommt mir der Text vor. Wie auch immer, zusammen mit „Back Street Luv“ von Curved Air (siehe weiter oben) war das die Single, die ich im Sommer 1971 in der Jukebox meiner Stammkneipe „Bazille“ am häufigsten gedrückt habe. Die B-Seite ist eine ziemlich unspektakuläre Status Quo mäßige Rocknummer, die nur durch einen angedeuteten Shuffle Rhythmus vor der völligen Unsäglichkeit bewahrt wird. Ich glaube nicht, dass diese Single sehr teuer oder schwer zu bekommen ist.

--

Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!