Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Von Abba bis ZZ Top › Arctic Monkeys › Re: Arctic Monkeys
album der woche bei gmx. haha.
CD der Woche
14.01.2006
Arctic Monkeys – Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not
Es muss für den Sänger einer Band schon ein komisches Gefühl sein, wenn die Fans die Texte besser beherrschen als er selbst. So geschehen im Fall der Arctic Monkeys, deren Erfolgsgeschichte ebenso kurz wie beeindruckend ist. Vor eineinhalb Jahren gab’s die noch nicht einmal.
Von Jochen Overbeck
Dann einige Auftritte, bei denen man umsonst CDs verteilte. Die vermehrten sich quasi von selbst – und plötzlich der Mega-Hype. Schon vor irgendeiner CD-Veröffentlichung eine stetig wachsende Fanbase in ganz Großbritannien, die aber höchst mobil zu sein schien und einen guten Teil dazu beitrug, dass auch bei der Deutschland-Tour im Dezember jedes Konzert ausverkauft war – mit ein paar hundert Fans, die Pech hatten und vor den Clubs warten mussten. Schimpfend, frierend, betrunken und irgendwie niedlich in ihrer Ergebenheit der Band gegenüber harrten sie aus. Jetzt steht also das Debütalbum in den Läden, veröffentlicht bei Domino, dem Label, das uns zuletzt Franz Ferdinand brachte. Es überrascht kaum, dass „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ eine Bombe ist.
Die Debütsingle „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ schoss in Popland konsequenterweise von null auf eins der Charts, was zuletzt den Spice Girls mit „Wannabe“ gelang. Der Unterschied: Die Arctic Monkeys schafften das nicht durch Mainstream-Präsenz, sondern alleine durch Mundpropaganda und ein kollektives Kollabieren der trendbewussten Mulitplikatoren. In erster Linie lag’s aber daran, dass bei dem Song einfach alles stimmt, dass hier die Schlüsselqualifikationen der Arctic Monkeys dem Hörer förmlich ins Gesicht springen.
Klar, die machen Riff-betonten Indierock. Was sie von anderen Bands unterscheidet, ist das immense Identifikationspotenzial. Die sehen nicht nur so aus wie ihre Fans, die reden auch so und bemühen sich in den Texten nicht, das irgendwie zu verschlüsseln. So offenbart sich dem Hörer ein amüsanter Blick in das Universum englischer Anfangszwanziger. Am ehesten vergleichbar ist das alles noch mit den Geschichten von The-Streets-Mann Mike Skinner, auch wenn der in einem musikalisch völlig anderem Umfeld arbeitet.
Was beide wiederum vereint, ist eine im Insel-Pop häufig feststellbare Tatsache. Am schönsten sind ihre Songs immer dann, wenn sie sich abseits der Überholspur ansiedeln. „Rio Van“ ist eine bittersüße Ballade zwischen Jugendzimmer und Polizeistation. „Have you been drinking, son? You don’t look old enough to me. I’m sorry officer, is there a certain age your supposed to be? Nobody told me.“ Zeilen, die die Messlatte für das Textgebiet Teenage-Blues verdammt hoch legen, die aber rasch genug von energetischem und mitskandierbarem Rumpelrock abgelöst werden, in dem Türsteher-Probleme („From The Ritz To The Rubble“) ebenso thematisiert werden wie fast besinnliche Gedanken zur Halbwelt („When The Sun Goes Down“).
Gute 40 Minuten – so lange dauert „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“. Wenn „A Certain Romance“, der letzte Song, verklungen ist, wenn Alex Turner sein letztes „Oh no, no, no“ in Richtung Kleinstadttristesse gesungen hat, dann ist man als Hörer seltsam verwirrt und berührt, dann versteht man den beispiellosen Aufstieg der Arctic Monkeys. Immens beruhigend ist freilich, dass man auch die Substanz erkennt, die die Band von so vielen anderen unterscheidet. Die Arctic Monkeys schreiben Songs, die unerhört jung klingen – die aber trotzdem Substanz besitzen. Ein Kunststück, das sie zu etwas ganz Besonderem macht.
Bewertung: Meisterwerk
--
Dirty, dirty feet from the concert in the grass / I wanted to believe that freedom there could last (Willy Mason)