Re: Pressemappe

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ah-um

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otis“Kann, darf, soll man Menschen nach ihrem Musikgeschmack beurteilen? Ja.“
Heute im Zeitmagazin

Hübscher Artikel. Aber die Antwort auf die Frage ist ein klares Nein.

Wer vom Musikgeschmack auf den Menschen schließt produziert fortlaufend Fehlurteile. Jedenfalls ist dies meine Lebenserfahrung. Geschmack ist überbewertet.
Der Anteil der Arschlöcher ist bei Coltrane-Hörern ähnlich hoch wie bei Dieter-Bohlen-Fans. Schon manche Borniertheit meinerseits musste an der Realität kläglich scheitern.
(Übrigens denke ich, dass es sich bei politischen Ansichten bis zu einem gewissen Grad ebenso verhält.)

Ob ich mit einer Person gerne meine Zeit verbringe oder sie ablehne, hängt von ganz anderen Dingen ab als von musikalischen Präferenzen. Da geht vielmehr es um soziale Kompetenzen, um ein gesundes Selbstbewusstsein, das nicht ständig nach Bestätigung giert, um Klarheit in den Entscheidungen bei gleichzeitiger Empathie und Rücksichtnahme, um die Fähigkeit zur Selbstkritik, um den souveränen Umgang mit den eigenen kleinen und großen Neurosen. Und natürlich auch um Intelligenz und Witz.

Über all das sagt der Musikgeschmack herzlich wenig aus. Geschmack halte ich vielmehr eine recht oberflächliche und beliebige Angelegenheit. Und er ist wohl deshalb auch ein so wohlfeiles Gesprächsthema. Unterhaltsam, aber letztlich nicht wert, sich darüber ernsthaft zu streiten.

Die Art, wie jemand streitet, sagt viel mehr über seine Person aus, als die Meinung, die er vertritt.

Kurz gesagt: Geschmack ist weitgehend unabhängig vom Charakter. Und von Letzterem sollte man sein Urteil abhängig machen (wenn man denn überhaupt meint Menschen beurteilen zu sollen).

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There is a crack in everything; that's how the light gets in. (Leonard Cohen)