Re: Handpicked Treasures Of Jazz

#2747201  | PERMALINK

hat-and-beard
dial 45-41-000

Registriert seit: 19.03.2004

Beiträge: 20,527

Album #38

The Gil Evans Orchestra – Out of The Cool
Impulse! AS-4

Gil Evans – p, arr, conductor
John Coles, Phil Sunkel – tp
Keg Johnson, Jimmy Knepper – tb
Tony Studd – bass tb
Bill Barber – tu
Ray Beckenstein – as, fl, picc (1, 3)
Eddie Caine – as, fl, picc (2, 4, 5)
Budd Johnson – ss, ts
Bob Tricario – bassoon, fl, piccolo
Ray Crawford – gt
Ron Carter – b
Charlie Persip, Elvin Jones – dr, perc

Englewood Cliffs, NJ – November & December, 1960

1. La Nevada
2. Where Flamingos Fly
3. Bilbao Song
4. Stratusphunk
5. Sunken Treasure

Dieses Album folgte den drei klassischen Kollaborationen Evans‘ mit Miles Davis, Miles Ahead, Porgy And Bess sowie Sketches Of Spain, und war eine Kehrtwendung. Evans bewegte sich weg von den genialen, durcharrangierten, nur dem Solisten Davis viel Freiraum lassenden Klanggebilden zu einem luftigeren, offeneren Gefüge, in dem jetzt jeder der Musiker an fast allen Stellen die Möglichkeit hatte, sich einzubringen.
Das beste Beispiel hierfür: der sich langsam aufbauende und immer weiter steigernde Opener „La Nevada“. Die eröffnende Klavierfigur (Evans selbst), dazu die Rasseln, Bass, Schlagzeug, bis nach und nach eben die ganze Band dazukommt. Ein Riff, das sozusagen die Keimzelle des Stücks ist und immer wieder in verschiedenen Instrumenten auftaucht, wird vom Klavier vorgestellt. Es folgen diverse Soli, aus denen niemand besonders heraussticht. Das ist hier nicht negativ gemeint. Aber: Evans verstand es immer, die Musiker so auszuwählen oder sie so spielen zu lassen, dass man ein homogenes Gebilde hörte, eine Band eben. Dabei wurde es jedoch nie steril oder flach. Diese Eigenschaft teilt er mit den besten Bandleadern bzw. Arrangeuren des Jazz, mit Basie, Ellington und Mingus. Außerdem ist er, wie auch diese Drei, ein fantastischer Pianist mit einem absolut eigenen Stil. Evans steht als Pianist für mich zwischen Bill Evans und Duke, irgendwo zwischen ihren sehr unterschiedlichen Klangfarben. Er ist etwas „bunter“ als der monochrome Evans, vom Anschlag und vom Ton her näher an Ellington.
Das zweite Stück ist ein Feature für den Posaunisten Jimmy Knepper (auch bekannt als Mingus-Sideman). Er soliert über eine Viertonfigur, die ebenfalls, wie im ersten Stück, nach und nach durch alle Instrumente zieht. Sehr zart, das Ganze.
Mit einer „atonalen“ Eröffnung in den Bläsern beginnt der „Bilbao Song“, eine Zusammenarbeit von Weill-Brecht. Über einen sehr luftigen Klangteppich aus Gitarrentremolo und Evans‘ spielt Carter ein sehr kühles, aber melodisch tolles Solo. Als die Bläser einsetzen, schliesst sich ihm ein gedämpftes Vibraphon an, alles endet mir der Eröffnungsfigur.
Die übrigen Stücke sind ähnlich, es wird zu Beginn viel Freiraum gelassen, es gibt (bei „Stratusphunk“) sehr starke Steigerungen der Dynamik. Ja, und die Evanssche Harmonik sowie seine immer gelungenen Experimente in der Instrumentierung eben – bei „Stratusphunk“ lässt er einen der Saxophonisten nah am Mikrophon seine Kappen spielen, ohne zu blasen. Es klappt.

Eine ganz herausragende Platte! Ich mochte sie auch schon deutlich mehr als heute, inzwischen sind mir die drei großen Alben mit Davis aber doch deutlich näher und lieber. Aber dafür, dass dieses Album so starke „Konkurrenz“ hat, steht es immer noch brilliant da. Was einen eigenständigen Big Band-Stil im Modern Jazz angeht, steht Evans Mingus in nichts nach. Das sagt dann wohl alles, hoffe ich.
Ähnlich umwerfend wie dieses Album ist die LP The Individualism Of Gil Evans von 1964, dort kommen auch Shorter und Dolphy zu Solistenehren. Die Platte Gil Evans And Ten (1957) kenne ich noch nicht.

--

God told me to do it.