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Eine Kuriosität am Rande: In einem Impulse!-Katalog von 1998 habe ich den folgenden Satz über diese Platte des Liberation Music Orchestra gelesen: „Das gleichnamige Album, neun ‚revolutionäre Freiheits-Lieder‘, vom ‚Lied der vereinigten Front‘ von Hanns Eisler und Bertolt Brecht bis zu ‚We shall overcome‘, dem Song der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, ist einer der wenigen Avantgarde-Klassiker, die schon damals großen Beifall von Kritik und Publikum bekamen“ (Götz Bühler). Als ich das gelesen habe, musste ich lachen: „Lied der vereinigten Front“! Der Schreiber hat das „Einheitsfrontlied“ nicht erkannt! „Und weil der Mensch ein Mensch ist…“ usw. Dabei wird es sogar ziemlich originalgetreu gespielt. „Einheitsfront“ ist ein feststehender Ausdruck. (Ungefähr gleichzeitig mit dem Liberation Music Orchestra oder kurz danach hatten die frühen Ton Steine Scherben diesen Song im Repertoire, wie man dem aktuellen Rolling Stone entnehmen kann.)
Das Erfolgsgeheimnis der Platte liegt, denke ich, zum einen in den Klangfarben: sie ist vom Sound her sehr farbig. Carla Bley hat für interessante Arrangements gesorgt. Sodann enthält das Album mehr Melodien als das durchschnittliche Avantgarde-Produkt. Es ist sehr abwechslungsreich, aber nicht hektisch. Und schließlich hat es ein Konzept: man kann sich bei den lärmigen und sperrigen Passagen etwas denken, was sie wohl ausdrücken könnten.
Die erste Seite mit den Liedern aus dem Spanischen Bürgerkrieg hat etwas musiktheatralisches an sich. Der Song von Eisler dient hier als Auftakt, von wegen „Einheitsfront gegen den Faschismus“, Volksfrontpolitik. Von den Solisten ist mir Gato Barbieri mit seinem ausdrucksvollen Ton aufgefallen (auf „Viva la Quince Brigada“). Die zweite Seite beginnt sehr kontemplativ mit der Erinnerung an den verstorbenen Che. Haden glänzt mit seinem Spiel; Dewey Redman steigert sich in eine haareraufende Klage hinein. Bei den folgenden Stücken steht dann wieder das Ensemblespiel im Vordergrund. Das getragene „War Orphans“ ist von düsterer Schönheit. Auf „Circus ’68 ’69“ wird es wild und kakophonisch, wenn musikalisch vom Parteitag der Demokraten 1968 berichtet wird (wie Haden in den Linernotes erklärt). Dort hatte sich eine Minderheit gegen den Vietnam-Krieg ausgesprochen und war überstimmt worden. „We shall overcome“ beendet das Album feierlich und hoffnungsvoll.
Ich höre zwar kaum jemals „avantgardistischen“ Jazz, aber dieser hier ist recht zugänglich. Zwar kann ich mich dafür nicht wirklich begeistern, aber ich kann schon etwas damit anfangen. Ein hörenswertes Album!
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To Hell with Poverty