Re: Handpicked Treasures Of Jazz

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hat-and-beard
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Album #18

Miles Davis – Sorcerer
Columbia

Track 1-6:
Miles Davis – tp
Wayne Shorter – ts
Herbie Hancock – p
Ron Carter – b
Tony Williams – dr

Track 7:
Bob Dorough – voc
Miles Davis – tp
Wayne Shorter – ts
Frank Rehak – tb
Paul Chambers – b
Jimmy Cobb – dr
Willie Bobo – bongos
Gil Evans – arr

New York – May 16, 17 & 24, 1967 (#1-6); August 21, 1962 (#7)

1. Prince Of Darkness
2. Pee Wee
3. Masqualero
4. The Sorcerer
5. Limbo
6. Vonetta
7. Nothing Like You

Heute also die dritte Miles-LP, die hier besprochen wird. Sorcerer war die dritte Studio-LP des zweiten großen Miles Davis Quintetts. Diese Gruppe wird zu Recht als die wichtigste Jazz-Combo der zweiten Hälfte der 60er Jahre angesehen.

Nachdem auf E.S.P. und Miles Smiles ein eigener Gruppensound gefunden worden war, wurde dieser hier verdichtet und intensiviert.
Man höre sich nur einmal „Masqualero“ an, das Herzstück dieser LP: die rhythmische Unklarheit im Intro, das hypnotische Thema, die leichten Dehnungen und Straffungen des Tempos (eine Methode, die auf Nefertiti ins Extrem getrieben wurde), das Zusammenspiel von Trompete und Schlagzeug, das schnell einen dynamischen Hochpunkt erreicht, Hancocks patternhafte Begleitung von Miles' Solo (ab 2:40) und diese fast atonale harmonische Wendung (3:05), dann Shorters traumhaftes und zärtliches Solo, typisch für ihn in einem langen Spannungsbogen aufgebaut. Hancocks arpeggios leiten behutsam sein sich stetig steigerndes Solo ein, das dann wieder zum Thema führt. Über, oder besser: unter allem liegen Williams' rhythmische Komplexität, sein dichtes Beckenspiel, und Ron Carters Bass, der ständig zwischen tiefen und sehr hohen Lagen wechselt und das Tempo oft nur andeutet. Und plötzlich verebbt alles mit Williams' leisem Wirbel.
Ähnlich ließen sich auch die 5 anderen Quintettaufnahmen beschreiben: die Themen sind alle recht repetitiv und „hypnotisch“; die Gruppe spielt nicht so scharf und präzis wie auf den beiden vorhergegangenen LPs, sondern mit leichten Verwischungen von Tempo und Intonation, ein sehr dichter und farbiger Sound macht das ganze Album zu einer Einheit, die erst zu Ende eine starke Zäsur erfährt. An die 6 aktuellen Aufnahmen seines Quintetts lies Miles ein 5 Jahre altes Stück anfügen, das in einem Septett mit dem Sänger Bob Dorough aufgenommen worden war. Das Liebeslied lässt den Zuhörer aus der gepackten Stimmung aufhorchen, in die man durch das sehr schwebende und intensive „Vonetta“ gebracht wurde. „Nothing Like You“ hat durch die blasse Stimme des Sängers und im Rückblick auf die anderen Stücke nahezu surrealistischen Charakter. Allein diese Bongos! Das Stück klingt in etwa wie eine Chet Baker Ballade auf 78 rpm. Kein Aufwachen, eher ein Übergang in einen anderen Traum.

1967 ist für mich das Jahr, in dem Jazz aufgehört hat, musikalisch und gesellschaftlich relevant zu sein.
Viele der älteren „Helden“ (Ellington, Monk, Gillespie…) veröffentlichten anspruchsvolle Musik, konnten dabei aber sehr wenig Innovation aufweisen.
Eric Dolphy, der vielversprechende und zukunftsweisende Multiinstrumentalist, war schon 3 Jahre tot; sein Freund Mingus hatte ebenso lang fast nichts von sich hören lassen.
Coltrane starb und riss mit seinem Tod eine große Lücke in die „Free Jazz/New Thing“-Bewegung, die nie wieder gefüllt wurde. Viele von Coltranes Weggefährten versuchten, seinen Stil weiterzuführen. Hier fehlte mir jedoch bei sehr vielen Aufnahmen ein ganz wesentliches Element für mein Jazzverständnis: der Swing.
Cannonball Adderley machte, von Funk und Soul inspiriert, unglaublich swingende und tanzbare Musik, der aber ein wesentliches Element fehlte, um bedeutend zu sein: Fortschrittlichkeit. Was Adderley machte war zeitgemäß und frisch, aber nicht neu oder gar wegweisend.

Miles veröffentlichte Sorcerer und Nefertiti, seine letzten komplett akustischen Alben mit dem Quintett. Danach transformierte er seine Gruppe durch Erweiterung des Instrumentariums: z.B. mit George Benson (g) auf Miles In The Sky; auf Filles De Kilimanjaro lies er Hancock und Carter elektrische Instrumente spielen und ersetzte sie auf zwei Stücken durch Chick Corea und Dave Holland. Er lies seine Musiker, begeistert von Funk, einfachere Grooves und Rhythmen spielen und adaptierte nicht nur die Kleidung und das Selbstverständnis junger, schwarzer Musiker. Danach wurde er zum Popstar. Und mit In A Silent Way gelang ihm seine letzte große LP. Kein Jazz, sondern, wie dieses Album, Traummusik.

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God told me to do it.