Re: Handpicked Treasures Of Jazz

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dougsahm
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Album #17

Carla Bley – Social Studies
Watt 11 / ECM

Michael Mantler – Trumpet
Carlos Ward – Soprano and Alto Saxophones
Tony Degradi – Tenor Saxophone, Clarinet
Gary Valente – Trombone
Joe Daley – Euphonium
Earl McIntyre – Tuba
Carla Bley – Organ, Piano
Steve Swallow – Bass
D. Sharpe – Drums

New York, September 1980 bis Januar 1981

Reactionary Tango 12:52
Copyright Royalities 6:41
Utviklingssang 6:30
Valse Sinistre 4:54
Floater 5:55
Walking Batteriewoman 4:24

All compositions by Carla Bley

Komponierter modernerer Jazz war mir an sich schon immer suspekt ! Wenn ich mich stark konzentriere fallen mir an sich nur 4 gefallende Ausnahmen ein. Bei 2 davon bin ich mir aber höchst unsicher, ob das überhaupt Jazz ist (Wim Mertens und Michael Nyman). Was soll es sonst sein ? Filmusik ? Das ist kein Stil ! Egal ! Übrig bleibt – somit fast allein auf weiter Flur – für meinen Geschmack – Carla Bley mit Social Studies (neben dem Vierten: Willem Breuker Kollektiv).

Das Kennenlernen dieses Albums fiel in eine Zeit, in der ich – welch geschmackliche Verirrung – ECM-Alben höchst aufgeschlossen war. Anfang der 80er. Als eines der wenigen ECM-Alben, das ich heute noch uneingeschränkt goutiere, ist Dieses übriggeblieben.

Aber Social Studies beginnt mit einer Übernummer, den Reactionary Tango in 3 Teilen. Praktisch so was wie 3 Sätze, durch Minipausen getrennt. Herrlich wie im Hintergrund meist Tuba, Euphonium und Schlagzeug einen Zeitlupentangotakt vorgeben und im Vordergrund abwechselnd die Saxes + Trompete – gemeinsam oder einzeln – , die Posaune oder die Gitarre scheinbar improvisierend, aber tatsächlich meist arrangiert, Figuren aufsetzen. Carla Bley lässt abwechselnd Pianofiguren perlen oder hinterlegt eine zart, kaum wahrnehmbare Orgel. Aber unabhängig von dieser Grundstruktur darf jeder Musiker unterwegs mal nach vorne. Ein Meisterstück ! Muss man mal gehört haben ! Mindestens. Hatte ich vor langer Zeit auch mal im TZ Instrumental drin. Und es ist eigentlich klar, dass der Rest nicht diesen 6-Sterne Level halten kann.

Es folgt, dass harmonische langsame Jazz-Blues-Stück Copyright Royalities, das von der Struktur her eine Billy Strayhorn – Komposition sein könnte, aber nicht ist. Diesmal ist anfänglich über weite Strecken Tuba und Klarinette – welch schöne Kombination – im Vordergrund.

Track 3 erinnert hinsichtlich seiner Melodieführung und Langsamkeit an eine Coltrane-Ballade. Mit 9 Musiker lässt sich aber auch eine Ballade raffiniert aufbauen.

Valse Sinistre ist ein intellektueller, kompositorisch aufgebohrter Walzer. So kenne ich Frau Bley. So ist es interessant, aber nicht mehr. So ist sie typisch. In der falschen Stimmung kanns ungemein nerven.

Floater fängt floatend an und baut sich dann zu einem arrangierten Instrumentengewitter auf. Ein einnehmender Spannungsbogen wird dabei erzeugt. Wie wenn eine Gewitterfront aufzieht. Mal meint man gleich ist es soweit. Dann kommt doch wieder die Sonne raus. Am Ende zieht das Gewitter dann doch vorbei und man hat es nur 5 km entfernt rumpeln gehört. Aber dennoch . eindrucksvolles Wetter.

Walking Batteriewoman. Be Bop mit atonalen Elementen. Not My Style – zumindest in den ersten 2 Minuten. Die zweite Hälfte mit einer kraftstrotzenden Posaune im Vordergrund ist dann wieder versöhnlicher.

Alles in Allem ein breitgefächertes Album. Fast so was wie eine Jazz-Grundschule. Mir persönlich wärs am Liebsten – ehrlich gesagt – würde der Reactionary Tango über 40 statt 13 Minuten gehen ….und sonst nichts drauf wäre.

Ich kenne von Carla Bley beileibe das Meiste nicht. Habe noch die European Tour, Tropical Appetites, zusammen mit ihrem Mann Michael Mantler die 13 & ¾ und aus Schongau noch einen Live-Mitschnitt von Anfang der 80er. Irgendwie war mir das alles zu sehr Kopfjazz, nicht schlecht, auf dem Flohmarkt unbedingt mitnehmen, aber auch nicht so packend, dass es Komplettierungsantriebe erzeugt hätte.

Fazit: Eines der Alben, das ich sowohl auf LP habe als auf CD. Höhere Ehre gibt es bei mir nicht.

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