Re: Handpicked Treasures Of Jazz

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atom
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Da captain kidd momentan nicht die Zeit hat, stelle ich seinen Text hier rein.

Album #5

Roland Kirk – The inflated tear
Atlantic 1968

Roland Kirk – Tenor sax, manzello, stritch, clarinet, flute, whistle, englich horn or flexafone
Ron Burton – Piano
Steve Novosel – Bass
Jimmy Hopps – Drums
Dick Griffith – Trombone (on ‚Fly by night’ only)

1. The black and crazy blues
2. A laugh for Rory
3. Many blessings
4. Fingers in the wind
5. The inflated tear
6. The creole love call
7. A handfull of fives
8. Fly by night
9. Lovellevelliloqui

Produced by Joel Dorn
Recorded at Webster Hall, New York City,
November 27 & November 30 1967.

Lange hielt ich Roland Kirk für einen Free Jazz Spinner, dessen Anerkennung durch einzelne Kritiker einzig auf der ‚Leistung’ beruht, drei Instrumente gleichzeitig zu spielen. Doch weit gefehlt. Weder ist Kirk ein Spinner, noch wirklich ein Free Jazzer. Und am wenigsten lassen sich seine Fähigkeiten auf das Simultanspiel diverser Instrumente reduzieren. Vielmehr musste ich nach abermaligem Hören dieser Platte feststellen: Roland Kirk ist ein Genie und diese Scheibe wohl eine seiner besten.

Der Titel bezieht sich dabei auf den Umstand, dass Kirk als Kind aufgrund eines Fehlers innerhalb der Behandlung einer Augenkrankheit erblindete und seine Augen mehrere Jahre schmerzten und „nothing but tears“ waren, wie er selbst in den erweiterten Liner Notes schreibt. Doch dies hinderte ihn nicht daran, ein Meister diverser Blassinstrumente zu werden, was ihn für mich Jazzanfänger mit Eric Dolphy vergleichbar macht. Aber Kirk ist meiner Meinung nach gleichzeitig weniger und mehr ‚free’ als Dolphy. Er spielt in meinen Ohren melodiöser, einfacher, noch traditionsbewusster; zugleich jedoch, wenn er z.B. die damals noch wenig verbreitete Zirkularatmung einsetzt und somit unendlich lange Linien zelebriert oder wenn er verschiedene Geräuscherzeuger in seine – auf einem starken Funkgroove aufbauenden – Stücke einsetzt, wirkt er wilder und freier als Dolphy, der selbst ja eigentlich auch nicht wirklich als Freejazzer zu bezeichnen ist. „Knalltüten“ wie Ayler oder Shepp (über den Miles Davis weiter sagte „Er war so schrecklich, dass ich einfach die Bühne verließ. Er konnte nicht spielen.) stecken beide auf jeden Fall locker in die Tasche.

Doch zurück zu „The inflated tear“. Allein schon der Opener hat mich total überzeugt. 1968 hat wohl kaum einer einen New Orleans Trauermarsch so abseits aller Klischees spielen können. Und es geht kaum schlechter weiter mit dem Uptempo Lächeln für seinen Sohn Rory und dem Zirkularrocker „Many blessings“. Es folgt mit „Fingers in he wind“ mein Lieblingsstück. Für mich eines der schönsten und wärmsten Jazz(-flöten) Stücke aller Zeiten. Man ist immer wieder den Tränen nahe. Und so geht es weiter. Titel für Titel eine Meisterleistung und in Gänze betrachtet eine Jazzstilwundertüte auf allerhöchstem Niveau von einem Künstler, der leider immer noch nicht die Anerkennung gefunden hat, die ihm gebührt. Aber vielleicht ändert sich das ja jetzt und hier. Zum Weiterhören empfehle ich dabei: Rip, rig & panic [Limelight 1965] und Kirk in Copenhagen [Mercury 1963/Verve 2004].

captain kidd

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Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...