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Es ist weniger eine Aversion, sondern mehr eine extreme Enttäuschung, obwohl man (rückblickend) bereits den beginnenden Größenwahn von Axl Rose mit “Use Your Illusion” hätte erkennen können. Ein Doppel-Doppelalbum, das inhaltlich keine Unterschiede erkennen lässt, wäre in dieser Form nicht zwingend gewesen (…)
Ja, die beiden Platten hätte man zu einem perfekten Doppelalbum eindampfen können, da stimme ich ohne Bedenken zu. Es scheinen sehr viele Kompromisse gemacht worden zu sein. Man hat den Eindruck, dass sich jeder aus der Band nach belieben austoben durfte und mehr oder weniger die jeweiligen Solostücke gemeinsam eingespielt wurden. Deshalb bekommt man auf UYI eher die einzelnen Granatsplitter von AFD serviert, nicht mehr die kombinierte, geballte Ladung. Hat aber über weite Strecken trotzdem sehr gut funktioniert.
Natürlich ist es einfacher über das Album “Chinese Democracy” zu lästern und sich darüber lustig zu machen, als es ins Herz zu schließen. Durch die lange Vorgeschichte und dem Running-Gag der Veröffentlichungstermine haben Guns N’ Roses zugegeben schlechte Karten. Dieses Geunke hätte einzig durch ein Meisterwerk beendet werden können. Ein solches hat Axl Rose auch angekündigt, als er sagte, dass das nächste Album von Guns N’ Roses das beste Rock & Roll Album aller Zeiten werden wird. (…)
Tja, die Vorgeschichte nimmt einen großen Raum bei der öffentlichen Rezeption ein und bietet natürlich auch eine gigantische Angriffsfläche. Die Analogie zwischen künstlerischen Inhalten und Produktionsgeschichte wäre vielleicht gar nicht so verkehrt, so lange man sich nicht von dem vermeintlichen Irrsinn abschrecken sondern einnehmen ließe.
Jens Balzer schreibt in seiner SPEX-Rezension von einer ’ungewöhnlich irren Ansammlung von bizarren und irrelevantem Schmock’, bei der er ‘beim Hören weder Melodien oder Refrains’ erkennt, sich stattdessen in einer ‘zufälligen Abfolge von Breakbeats, Streichern, Flamenco plus einem Überangebot an Gitarrensolis’ wiederfindet und den Gesang von Axl Rose vergleicht er mit dem von Nelly Furtado. Auch Balzer ist kein Hasser, sondern ein Enttäuschter. Wenn man die bisherigen Alben von Guns N’ Roses als Maßstab und den eigenen Anspruch von Axl Rose heranzieht, kann man “Chinese Democracy” nur als eine herbe Enttäuschung empfinden. Angeblich soll das aktuelle Album Teil einer Trilogie sein. Mal abwarten was und vor allem wann etwas kommt.
Ja, wenn man AFD als Maßstab heranzieht, ist eine Enttäuschung vorprogrammiert. Nicht weil AFD so gut und CD so misslungen wäre, sondern weil der Ansatz überhaupt nicht funktionieren kann. Das Debüt ist vor 22 Jahren unter völlig anderen Vorzeichen in einem völlig anderen Kontext erschienen. Was für eine Farce wäre es gewesen, dort heute anknüpfen zu wollen (unter ökonomischen Gesichtspunkten sicher die Ideallösung zur Befriedung der Massen). Nimmt man die Beiträge von Axl Rose der beiden Illusions als Maßstab, sieht das schon ganz anders aus. Ich schrieb es bereits, die Entwicklungstendenz zu Chinese Democracy erscheint nicht gerade sensationell ungewöhnlich, wenn man Kompositionen wie Estranged, Breakdown, Coma oder November Rain betrachtet und gedanklich die homogene blues-orientierte Hardrockgrundlage subtrahiert. Fehlende Refrains, ausufernde Strukturen, ein Meer von Gitarrensoli und doppelte Gesangsspuren? Bitte sehr, die Illusion sind doch voll davon. Scheint nur lange keiner mehr gehört zu haben.
Natürlich kann man sich gleich den Zugang verbauen, wenn man in der Fülle von Ideen, den üppigen Arrangements, den technischen Spielereien, der fetten Produktion nur den „irrelevanten Schmock“ hören möchte. In unserer rickrubinisierten Zeit sicher eine populäre wie simple Grundeinstellung. Produktionen müssen aufs Wesentliche reduziert sein. Mit Prunk und Pomp macht man sich keine Freunde. Was ist künstlerisch schon relevant, wenn es eine Akustikplatte im Stil der B-Seite von GNR Lies auch getan hätte.
Mit einem Funken Interesse für das Phänomen GNR und die Figur Axl Rose kann man dem Album aber auch aufgeschlossen begegnen. In dem Zusammenhang ist die Rezension von Stephen Erlewine interessant, der im Hinblick auf CD von einem musikalischen Xanadu spricht. Bezüglich Axls Credo und Distanz, sowie der wahnwitzigen Opulenz der Platte, ein reizvoller Vergleich. In seiner Konsequenz ist CD genauso kompromisslos und letztendlich auch authentisch wie AFD. Ein unangepasstes, egozentrisches Kamikaze-Album, das rücksichtslos ohne öffentliches Kalkül eine pesönliche Entwicklung widerspiegelt, und deshalb glaubwürdig ist.
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