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Das Album ist der Treppenwitz der Musikgeschichte …
Eine zutreffende Kritik unter http://www.ksta.de/html/artikel/1227106708606.shtml
Comeback-Versuch – Der Traum des Alchemisten
Der längste Witz der Rockgeschichte: Guns N´ Roses veröffentlichen nach 14 Jahren Funkstille ihr Album „Chinese Democracy“. Es ist 71 Minuten lang – ungefähr 60 davon sind absolut unhörbar.
In Balzacs Erzählung „Das unbekannte Meisterwerk“ arbeitet der genialische Maler Frenhofer seit zehn Jahren an einem Frauenporträt, das außer ihm kein Mensch je zu Gesicht bekommen hat. Als Frenhofer das Werk schließlich zwei befreundeten Malern zeigt, erweist es sich als ein Wirrwarr aus Vorzeichnungen und Übermalungen, nur die Spitze eines – freilich meisterlich gemalten – Frauenfußes ist auszumachen.
Die Geschichte der populären Musik kennt so einige unbekannte Meisterwerke. Mythische Alben, die verloren gingen oder nie zu Ende geführt wurden. Manche, wie Brian Wilsons „Smile“ wurden doch tatsächlich 40 Jahre später veröffentlicht – allerdings nur in einer Neuaufnahme. Andere, wie Bob Dylans „Basement Tapes“, waren nie als Album gedacht, begründeten gerade deshalb aber die lange Geschichte des Rock-Bootlegs. Und wieder andere scheiterten an ihrer eigenen Hybris. Etwa Pete Townshends Plan, biorhythmische Daten seines Konzertpublikums via Synthesizer in Musik zu übersetzen. Oder Pink Floyds Versuch, ein Album allein mit Hilfe von Küchengeräten aufzunehmen.
Doch gegen die Geschichten, die sich um das sechste Album von Guns N´ Roses ranken, erscheinen sogar Townshends Pläne relativ vernünftig. Zur Erinnerung: Ende der 80er bis Anfang der 90er war die Band um Frontmann Axl Rose mit ihren 100 Millionen verkauften Tonträgern nicht nur der größte Mainstream-Rock-Act der Welt, sondern vielleicht auch der letzte. Danach kam Grunge. Der Mainstream zersplitterte in Dutzende von Subgenres und Guns N´ Roses implodierten gleich mit und hinterließen einen Scherbenhaufen aus gefeuerten Bandmitgliedern, abgesagten Konzerten und samt und sonders zutreffenden Drogengerüchten.
Übrig blieb allein Axl Rose und seine Ankündigung des nächsten Guns-N´-Roses-Albums namens „Chinese Democracy“. Immerhin: Rose hat nicht gelogen. Es hat nur etwas gedauert. „Chinese Democracy“ erscheint an diesem Samstag, 14 Jahre nach den ersten Aufnahmen zum Album. In der Zwischenzeit ist das ungehörte Werk wahlweise als letzter Rettungsanker des Mainstream-Rock oder als größter Witz der Rock-Geschichte ausgerufen worden. Vor fünf Jahren kündigte die amerikanische Punk-Band The Offspring an, ihr nächstes Album „Chinese Democracy“ zu nennen. Das erwies sich jedoch als gelungener Aprilscherz.
Mainstream-Land ist abgebrannt
Der jetzt vorliegende Tonträger ist kein Scherz. Gelungen ist er leider auch nicht. Für Balzac-Leser, zu denen Axl Rose vorsichtig geschätzt wohl eher nicht gehört, wenig überraschend, ist „Chinese Democracy“ ein Wirrwarr aus Vorzeichnungen und Übermalungen. Schon die Liste der Musiker, Toningenieure und Studios erreicht die Dimensionen des Abspanns von „Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“. Wer gute Kopfhörer und die nötige Muße besitzt, kann sicher auch die Beiträge aller Beteiligten heraushören. Denn Rose und sein Mitproduzent Caram Costanzo machen sich zwar nicht der hundertspurigen Versoßung schuldig. Aber dafür packen sie derart viele Breaks und instrumentale Schlenker in jeden der 14 Tracks, dass auch bessere Songs daran zerbrochen wären. Als könnte man den zersplitterten Mainstream wieder zusammenkitten, indem man sämtliche Rock-Spielarten der vergangenen 20 Jahre zusammenschneidet. Ein alchemistischer Traum, unerfüllbar.
Bereits der Titelsong lässt mythisches Gewaber – Gothic-Rock lässt grüßen – von einem Gitarrengriff zerstieben, der sich auch auf einer Scorpions-Platte der 80er wohlgefühlt hätte. Den Refrain erkennt man daran, dass es lauter wird. Eine Melodie sucht man vergebens. Und es wird schlimmer: „Shakler´s Revenge“ zitiert den Industrial-Rock der 90er, erinnert aber eher an die dumpfbackige Braunschweiger Band Oomph. Im Folgenden begegnen uns Märchenfee-Gesänge, spanisch gezupfte Gitarren, Posaunenintros, unvermittelte elektronische Effekte, Pathos-Gebrumme und eine Unzahl an Gitarrensoli, die sich wohl über 15 Jahre angehäuft hatten und die nun willkürlich über die Songs verteilt werden. „Madagascar“ verwirrt mit einer Soundschnipsel-Collage aus Reden von Martin Luther King, dem Paul-Newman-Klassiker „Der Unbeugsame“ und „Braveheart“, vielleicht in Erinnerung an Axl Roses berühmtes Schottenrock-Bühnenoutfit.
Ein, zwei, drei Lichtblicke
Findet Rose doch noch mal eine Melodie, klingt die nach Provinz-Musical. Wenn er nicht kreischt, knödelt er. Um „Street Of Dreams“, „Madagascar“ und „This Is Love“, Roses Hymne an seine tote Mutter, ließe sich mühelos eine Broadway-Version von Guns N´ Roses basteln. Eine grauenhafte Vorstellung.
Es gibt wenige Lichtblicke. „Riad N´ the Bedouins“ könnte als entfernter Verwandter von „Welcome To The Jungle“ durchgehen. Hinter der Midtempo-Nummer „I.R.S.“ verbirgt sich doch tatsächlich ein fertig geschriebener Song und dementsprechend zurückhaltend klingt die Ausführung (auf jedem anderen Rock-Album würde man sie allerdings einen überproduzierten Wahnsinn schimpfen). Und den abschließenden Track „Prostitute“ kann man sich fast als Radiohit vorstellen.
Doch gut 60 von 71 Minuten sind untanzbar, unpfeifbar, ungenießbar. Wo ist nur der Pop-Appeal geblieben, mit dem Guns N´ Roses einst jede Dorfdisco und jedes Stadion füllten. „Paradise City“ und „Sweet Child Of Mine“ kann jeder mitsingen. Die Hoffnung auf das letzte große Mainstream-Rock-Album muss begraben werden. „Chinese Democracy“ ist nicht länger ein unbekanntes Meisterwerk. Sondern nur noch eine unhörbare CD.
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