Re: Renaud

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loplop

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Laisse Beton (1977) ****1/2

Vom Lausbub mit Baskenmütze wird er jetzt zum Schwarz-Leder-Vorstadtcowboy. Die wichtigsten Erkennungszeichen nach der Lederjacke sind die Santiags – Lederstiefeletten, la mob – das Mofa und la bande – die Gang von gleichgesinnten copains. Renaud als „Loubard“-als ausgegrenzter Jugendlicher aus den Beton-Slums rund um Paris, die nächsten paar Platten bewegen sich in diesem Milieu. Der Titeltrack ist ein kleines Kabinettstückchen, wie ein kleiner Film, man hört hier auch Country-Klänge, das ganze könnte aus einem Lucky-Luke-Comic stammen. Die Idee hatte auch Juillard – in „Bande d’Enfer“ – eine Sammlung von Comic-Strips, welche von jeweils einem Renaud – Song inspiriert wurden, bzw. seine Geschichte erzählen (Verlag Delcourt). Dann kommt als nächstes „Le Blues de la Porte D’Orléans“ – hier fordert er die Unabhängigkeit seines Heim-Viertels, des 14ten Arr.. So einzigartig ist das 14te nicht, wenn man hinfährt aber das merkt man wohl nicht, als Besucher. Ein Blues-Lied jedenfalls – dieses Album ist musikalisch variabler, das Akkordeon ist aber nie weit weg.

Ma Gonzesse (1979) ***1/2

Wenn Renaud ein etwas schwächeres Album hat, dann wohl dieses. Er übertreibt es hier ein wenig mit den verschiedenen musikalischen Stilen. In „Chanson pour Pierrot“, welches zu seinen schönsten Liedern gehört, besingt er seinen noch ungeborenen Sohn. In diesem wie auch in den vorigen Alben fällt die Ähnlichkeit der Texte mit den frühen Phillipe Djian-Büchern auf. Das Tempo, die frechen Metapher, der Slang, die Lebensfreude und die durchschimmernde Melancholie – vor allem auch im Gedicht, welches dieses Album abschließt: „Peau aime“. Es erinnert mich auch an Dylan, an „Last Thoughts on Woody Guthrie“ eine Offenbarung der eigenen Seele.

Marche à l’ombre (1980) ****1/2

Wieder ein grossartiges Album, mit sehr wichtigen Liedern. Mein persönliches Highlight von dieser Platte ist La Teigne, wunderbarer kleiner Chanson, todtraurig, aber wunderbar. Sonst gibt es hier wie immer Witz und Nonsens- „It is not because you are“ und sogar Aggressivität in einigen Liedern. Um die Zeit, 1980, wird er zum großen Star in Frankreich.

Le retour de Gérard Lambert (1981) ****1/2

Die letzte Platte aus der Vorstadt, sozusagen. Renaud hat inzwischen eine Familie, hier kommt auch häusliches vor, Fernsehen und der Weihnachtsmann. Manu- sein Alter Ego hat jetzt Liebeskummer:

Heh, Manu, geh‘ heim,
Dein Bier ist schon voller Tränen,
Die Kneipe macht zu,
Und du nervst nur die Wirtin.
Ich dachte, daß ein Lederjacken-Kerl
Gar nicht heulen kann,
Ich dachte sogar, daß dir
Kummer unbekannt ist.
Ich vergaß, daß deine Tätowierungen
Und deine Messerklinge
Vor allem eine Panzerung
Für dein zartes Herz sind.

Refrain:
Eh, flipp nicht aus, Manu,
Schneid‘ dir nicht die Pulsadern auf,
Eine verlorene Mieze
Heißt, zehn Kumpels wiederzufinden.

Sein Kumpel versichert ihm dann lässig:

Ich sag‘ dir mal was: wir sind Wölfe,
Geboren fürs Rudelleben,
Aber doch nicht für ein Leben zu zweit,
Oder wenn, dann wenigstens nicht lange.
Wir haben schon lange
Unsere Bräute abgegeben,
Und du hältst deine noch fest
Und hast ständig Angst dabei.
Heh, Manu, frei leben
Heißt oft allein leben,
Das schlägt vielleicht manchmal auf den Bauch,
Aber dafür räumt’s im Kopf auf.

Refrain:
Eh, flipp nicht aus, Manu,
Haß nützt da gar nichts,
Eine verlorene Mieze
Heißt, zehn Kumpels wiederzufinden.

(Übersetzung: Tobias Scheer)

Morgane de Toi (1983) *****

Das nächste Cover zeigt Renauds Transformation. Ein schönes Bild, mit E-Gitarre und kleiner Tochter, die Santiags in der Hand. Außerdem hat er jetzt ein Boot und hat das Meer entdeckt: „Dès que le vent soufflera…“man fühlt den Seewind in diesem Song, Paris, sonst immer der Schauplatz, ist weit weg. „Deuxième Génération“ – die Zuwanderer-„Problematik“ kommt nicht allzu oft bei ihm vor, aber dieses Lied sagt schon alles, es sollte Pflichtstoff in der Schule werden. In „Morgane de Toi“ warnt er seine kleine Tochter vor Sandkasten-Playboys-wunderschön, und dann:

Oh wie ich genug davon habe, mich mit Bildchen vollzutätowieren,
Die meine Haut zum Comic machen.
Deinen Namen hab‘ ich mit Goldnieten, eine nach der andern,
Hinten auf meine Lederjacke geschrieben.

Du bist das einzige Weibsbild, das ich auf meinen Armen tragen kann,
Ohne mir die Schulter auszurenken und unter dem Gewicht zusammenzubrechen.
Du wiegst weniger als ein Spatz, der nichts frißt;
Entfalte nie deine Flügel, Lolita, entfliege mir niemals!
(Übersetzung: Tobias Scheer)

In „En Cloque“ eins der zärtlichsten und schönsten Lieder, die ich kenne, besingt er seine schwangere Frau. In „Déserteur“ schreibt er dem Präsidenten einen Brief, in welchem er die Menschen- und Naturrechte einfordert, aber ohne Haß, wie früher. Mit seine beste Platte, auch produktionstechnisch (er nahm erstmals mit Studio-Profis in L.A. auf). Hier treffen sich die schönsten Melodien und genialsten Texte. Für Renaud-Einsteiger ein guter Kauf.

Fortsetzung folgt.

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