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Faves #78
Führt man sich vor Augen, welchen Aufwandes es Ende der 50s / Anfang der 60s in Europa bedurfte, sich die schwarze Musik Amerikas (vom Blues bis R&B) im Wortsinne zu eigen zu machen, mag man ermessen können, wie wichtig es der jungen Elite im UK gewesen sein muss, durch den ungefilterten Zugang zu dieser, als cool, modern, hip empfundenen, Musik eine adäquate musikalische Ausdrucksform zu finden, als Hörer wie auch als Macher. Noch bemerkenswerter als ihre augenscheinliche Existenz ist für mich die unglaubliche Stilsicherheit, mit der man sich in dieser UK-R&B-Szene der Musik anzunähern und dann auch zu interpretieren wusste. Mit Cliff erlebte man ja schon einen durchaus eigenständigen Rock’n’Roller, wo hierzulande nur kümmerlichst kopiert wurde. Dass dann ein paar Jahre später weiße britische Jungs den Geist und die Attitüde der schwarzen Musik so überaus kongenial zu verkörpern wussten, verlangt allergrößte Anerkennung.
Heute ein paar Singles dieser Größen, ihrer Ausläufer und Anverwandten.
The Animals: Baby Let Me Take You Home / Gonna Send You Back To Walker 1964 UK-Columbia
Hierzulande gibt es flächendeckend nichts Vergleichbares, und vielleicht macht dieser Umstand einen wesentlichen Unterschied zum UK im Bezug auf Pop aus: ungezählt ist die Anzahl der Musiker, die ihre Wurzeln in den englischen Art Schools hatten. Nicht nur die Stones, Kinks, Yardbirds, Roxy Music, Sex Pistols, um nur einige wenige wegweisende zu nennen, auch z.B. die Pretty Things und Animals.
Die Art Schools waren ein idealer Nährboden, künstlerische Träume hochfliegen zu lassen. Sie schafften kreative Freiräume und nicht zuletzt eine offene Atmosphäre, die geprägt war von gemeinsamer Neugier und Suche nach individuellen künstlerischen Ausdrucksformen. Sie waren also eine wunderbare Plattform für junge Leute, die nicht so recht wussten, wohin mit sich selbst, aber deutlich spürten, dass sie hier vielleicht am ehesten die Möglichkeiten hatten, ihre Potenziale zu verwirklichen. Natürlich spielte auch die Musik dort ihre entscheidende Rolle, Trad-Jazz, Skiffle und dann, zumindest rezipierend, eben auch der schwarze US-amerikanische Blues und R&B.
Am Ende landeten die meisten dann zwar wohlbehalten als Designer, Grafiker, etc. im Schoß der Gesellschaft, aber die Art Schools verkauften einem immerhin den Traum ein Künstler werden zu können, wie Eric Burdon sagt.
Er selbst war ein ausgebildeter Ausstellungsdesigner, und das nur, weil er unbedingt zum Film wollte. Die Animals also ebenfalls mit Wurzeln dort, mit Trad-Jazz-Background (Burdon z.B. war ein ganz ordentlicher Posaunist) und natürlich heiß darauf, ihren Beitrag zu den musikalischen Aufregungen der Zeit zu leisten.
Dies ist ihre erste Single, im März 1964 erschienen, bevor sie im Frühsommer des Jahres mit House Of The Rising Sun einen weltweiten Hit verbuchen konnten. Sie kratzte an den Top Twenty, lässt aber schon erahnen, was in der Gruppe steckte.
Die Flipside ist klassischer R&B, eine flotte Nummer, die so ähnlich auch von den Stones u.a. hätte stammen können, allerdings hier Animals-typisch mit der Orgel von Alan Price angereichert.
Baby Let Me Take You Home war da nicht so eindeutig schwarz. Der Song stammt von Wes Farrell (Hang On Sloopy u.a.), wird hier aber als Trad. ausgewiesen in der Bearbeitung von A. Price (mit dieser Masche kassierte Price sämtliche Tantiemen für House of The Rising Sun).
Es beginnt mit einem Gitarrenintro, das eher Beatband-typisch ist, auch Melodieführung, Fills etc. passen in das vorherrschende musikalische Zeitbild. Burdons Stimme jedoch markiert unverkennbar die Richtung, in die es zum Ende des Tracks hin und vor allem in der Zukunft der Band noch geht. Sie klingt genuin schwarz. So ist denn die letzte halbe Minute dieses Tracks ein flottes, shaky R&B-Statement allerersten Ranges, ja, hier sind die Animals jetzt ganz in ihrem Element.
(·) Diese erste Single erschien noch nicht in D, ihre nächste dagegen dürfte Millionenauflagen erreicht haben.
Them: Mystic Eyes / If You And I Could Be As Two 1965 D-Decca
War das die Coolness von 1965? Die Band auf dem Cover jedenfalls macht einen eher braven Eindruck, lassen doch die Nordiren kaum erkennen, dass sie mit Mystic Eyes gerade eine der originellsten und besten R&B-Singles produziert hatten.
Eigentlich ist das gar kein Song, wie man ihn erwarten würde, und eigentlich singt Van Morrison auch nicht. Eher ist es eine Art Sprechgesang, ein Shouting, das jedoch keinerlei Zweifel an seinen vokalen Künsten aufkommen lässt. Und eigentlich sind die Vocals in Mystic Eyes auch nur ein kleiner Teil des Ganzen.
Ein Intro, wie man es auf einer Popsingle kaum je gehört hat, eröffnet den Track. Eine reichliche Minute auf nur einem Akkord hören wir Bo Diddley-Rhythms, eine gute Bluesharp, und wir hören eine großartige Steigerung zu einer ersten Climax, die in Gitarrenschlägen mit einem Akkordwechsel mündet. Erst dann setzt Morrison an, für gerade mal eine weitere Minute, begleitet von ausgesprochen eigentümlichen Gitarrenfiguren, die die Mystic Eyes kommentieren, und begleitet von den beiden Akkorden, die sich soeben angekündigt hatten. Und dann endet das Ganze schon wieder in einer rasanten Coda, die, wie das Intro, ohne Akkordwechsel auskommt.
Unglaublich das Feuerwerk, das Orgel, Gitarre, Harp, Bass und Drums in den 2’40 entfacht haben, fantastisch, wie sehr die jungen Burschen wussten, was sie musikalisch wollten. Etwas ganz Eigenes nämlich aus dem Geist des R&B heraus; weit mehr als kopierendes Epigonentum also. Das zeugt von einem tiefen Verständnis für das, was man hier tut, sowohl für die Vorlagen, als auch für die eigene Ausdeutung. Wo gab es das hierzulande, wo zu jener Zeit in den Staaten?
(·) Mystic Eyes ist trotz seiner Charts-untauglichen Sperrigkeit die einzige Them-Single, die zu Morrisons Them-Zeiten in Deutschland erschien. Nachträglich gebührt den damaligen Marketingleuten bei der dt. Decca größter Respekt dafür.
Ein Geschäft war nicht zu machen damit, sie stand in den Katalogen und wurde von ein paar Jungs gekauft, die Bescheid wussten. Damals schon. Sehr selten also und normalerweise entsprechend teuer.
The Pretty Things: Sittin’ All Alone / Rainin’ In My Heart 1965 D-fontana
Ich mag es nicht mehr lesen von den Pretties als den wirklich bösen Buben des UK-R&B, die die Stones zur „Teegesellschaft“ degradiert hätten. Da sich ihnen solche Attribute an die Fersen geheftet zu haben scheinen, wollte ich zumindest ein Fragezeichen dahinter setzen.
Diese Single zumal ist ganz und gar nicht böse, sie verschreckt nicht einmal kleine Mädchen. Im Gegenteil, sie ist auf beiden Seiten einfach nur schön und suhlt sich musikalisch im besten Sinne in Liebesleid und Weltenschmerz. Das jedoch so atemberaubend aufrichtig und zwingend, dass es vielleicht doch wieder gefährlich werden könnte für die kleinen Mädchen.
Die A-Seite ist eine Eigenkomposition mit ganz eigenem melodisch harmonischen Flair, eher schwebend als geerdet, eher traurig entrückt als badend im Selbstmitleid. Das wird unterstützt durch den leicht verhallten Gesang Phil Mays und vor allem durch die Gitarrenfloskeln Dick Taylors, die mich in ihrer Leichtigkeit und unaufdringlichen Quirligkeit schon an spätere Westcoast-Gitarren denken lassen. Sie wirken stellenweise wie Geklimper, ziellos, machtlos, konturlos, und doch prägen gerade sie die unvergleichliche Stimmung dieses Tracks auf ihre Weise.
Prägend auch die Gitarre auf der Flip, jetzt als klassische Bluesgitarre mit den entsprechenden Floskeln. Phil May dazu mit seinen zurückhaltenden, leicht heiseren Vocals und dann vor allem einer der schönsten Bluessongs ever von Slim Harpo. Hier ist nichts Aufgesetztes, Übertriebenes oder gar Verspieltes. Fantastisch dieser eine hohe Gitarrenton vor dem Zwischenteil und nach dem letzten Refrain. Es scheint, als solle er ein Solo einleiten, was dann aber doch nicht kommt. Unerfüllt das Ganze, wie die Liebe.
(·) Die beiden Tracks erschienen im UK nicht als Single, sondern als schön gestaltete EP mit dem Titel Rainin’ In My Heart. In NL und bei uns wurden die Titel als Single veröffentlicht und wohl auch ganz gut verkauft. Die Platte ist nicht übermäßig selten und ist in meinen Augen mit 20-30 Euro in bester Erhaltung sicher nicht überbezahlt. Die angesprochene UK-EP war in den Top 10, ist also relativ häufig, steht dennoch mit 55 Pfund im Katalog. Ich habe sie hierzulande schon häufiger gesehen und auch schon einmal besessen.
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