Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #76


Irma Thomas: Time Is On My Side / Anyone Who Knows What Love Is (Will Understand) 1964 US-Imperial

Dies ist das Original, das die Stones umgehend coverten, als Jagger sie damit bekannt gemacht hatte. Er selbst hatte Time Is On My Side über Gene Pitney kennen gelernt, der es unter Jack Nitzsche aufnehmen wollte. In den Chess-Studios entstand dann die Version der Stones. Tausend Meilen weiter südlich in New Orleans diese Aufnahme.
Zunächst war Anyone… die A-Seite gewesen, erst mit dem Stones-Erfolg tauschte Imperial die Seiten. Dennoch blieb der Single der größere Erfolg versagt.
Wie sehr aber Jagger von dieser Aufnahme begeistert war, lässt sich leicht daran ablesen, dass die Stones die wesentlichen Elemente übernommen haben. Diese Mischung aus singing and shouting im Refrain, das Zusammenspiel zwischen Leadvocals und Background, die feine rhythmische Spannung, ja, selbst das Gitarrensolo ist hier schon recht ähnlich vorhanden. Irma Thomas’ Vocals hingegen sind nur ansatzweise Vorlage für Jaggers Interpretation, mit ihrer kräftigen Stimme kann Mick natürlich nicht mithalten. Das bekommt der Stones-Aufnahme aber letztlich ganz gut, zumal H.B. Barnum als Produzent in meinen Ohren hier den Fehler macht, dem Backgroundchor zu viel Raum zu geben. Dadurch bekommt diese Aufnahme ungebührlichen Showcharakter, verliert etwas an Intensität und Intimität und wirkt deshalb leicht beliebig. Weniger wäre mehr gewesen, das sind nicht die Roots of New Orleans. Dennoch natürlich eine tolle Platte, von einer tollen Sängerin, auf der fast alles richtig gemacht wurde.
Ergänzt sei noch die Geschichte um den Komponisten. Es war Jerry Ragovoy, der den Titel unter seinem Pseudonym Norman Meade veröffentlicht hatte. Aus obskuren Gründen hat sich bei vielen Veröffentlichungen (auch denen der Stones) oft ein Komma zwischen Vor- und Nachnamen geschlichen, so dass „Norman, Meade“ oder „Norman/Meade“ als credits häufig anzutreffen sind. Warum die beiden Nichtexistenzen auf dieser Single gar noch einen zusätzlichen Vornamen bekommen haben: N. Meade & J. Norman mag auf immer das Geheimnis von Imperial bleiben.

(·) Für 10-15 $ sollte man ein sehr gut erhaltenes Exemplar bekommen können.


Dale Hawkins: Susie-Q / Don’t Treat Me This Way 1957 US-Checker

Wenige hundert Meilen weiter nördlich, am anderen Ende von Louisiana liegt Shreveport. Eine Stadt, die in den 50s Furore machte durch ihr Louisiana Hayride, jener Radiosendung, die damals eine ernste Konkurrenz zur Opry in Nashville darstellte (u.a. mit Elvis vor seinem Durchbruch). Ein Ort also, in dem Musik ihren Platz hatte, und einige Große der Musikgeschichte geboren wurden. So auch „Pick it for me, James“ Burton, nachmals einer der Großen der Country-Szene. Er hatte mit dieser Platte einen seiner frühen Auftritte in der Musikwelt. Und was für einen. James Burton war derjenige, der hier in Shreveport jenes Riff spielte, das Susie-Q zum Klassiker machte, der dazwischen die genialen Soli spielte, die sich aus dem Riff ableiteten und wieder darin mündeten, der also maßgeblich mithalf, dass aus dem Minimum an Song ein Opus Magnum wurde. Dale Hawkins bot dazu einen Sprechgesang, der bestens zu der trocken coolen Atmosphäre passte, die dem Ganzen anhaftete. Dazu dann noch die unglaublichen Rhythms. Polternd aufgeregte Drums und eine Cowbell, die fast schon gedankenverloren in dem archaischen Rhythmusgeflecht herumzubimmeln schien. Schier ungehört das alles in seiner Einheit.
Einer der größten Tracks der 50s.

(·) In Mint nicht leicht zu bekommen, dann wohl kaum unter $ 30.


Bobby Charles: Goodnite Irene / I Hope 1964 US-Jewel

Wie Susie-Q waren in den 50ern auch Bobby Charles’ Platten in Chicago bei Chess (obiges Checker war ein Sublabel von Chess) erschienen, obwohl auch er in Louisiana aufgewachsen und beheimatet war. Jener Bobby Charles, der mit Later Alligator einen frühen Swamp-Track vorgelegt hatte, von dem Bill Haley ein deutlich gradlinigeres Cover als See You Later Alligator ziehen sollte. Charles (als Guidry geboren) hatte diesen seinen großen Hit als 17-Jähriger geschrieben und aufgenommen (siehe Faves # 43 ), seine Stimme klang aber schon damals wie die eines viel älteren Schwarzen. Nach seiner Zeit bei Chess wechselte er zunächst zu Imperial, dann zu Jewel, einem Label aus Shreveport.
Goodnite Irene ist ein Klassiker und, obwohl oben auf dem Label als „Trad.“ ausgewiesen, eindeutig dem in Shreveport geborenen Huddie Ledbetter = Leadbelly zuzuschreiben.
Bobby Charles singt den Song mit seiner trocken rauen, beinahe kurzatmigen Stimme ohne viel Modulation und Pathos, eine ganz eigene Stärke von ihm. Das Arrangement ist auf den ersten Blick vom Rhythmus her eher etwas kantig angelegt mit Bläser-Fills, die dies unterstützen. Aber ganz schnell kommt dieses swingende Southern-Swamp-Feeling auf, das den Hörer in Bewegung bringt und die Aufnahme zu einem, zwar sehr eigenen, aber dennoch herausragenden Cover dieses Songs macht.
I Hope ist eine wundervolle Ballade. Becken, Strings, Bass, im Hintergrund eine leise Orgel und Bobbys Stimme. Keine Spur von Opulenz, kein Kitsch, keine Süßlichkeit. Ein ungeschminkter, herber, beinahe nackter Abschied. Brillant.
Vielleicht nicht seine größte Single, aber ich kann ohne Weiteres eine halbe Stunde mit ihr zubringen und sie wächst immer noch.

(·) Charles’ Jewel-7“s dürften für ca. 10$ zu bekommen sein.

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