Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Marvin Gaye: I Heard It Through The Grapevine / You’re What’s Happening (In The World Today) 1968 NL-Tamla Mowton

Unglaublich: Der größte Motown-Hit der 60er blieb lange Zeit unveröffentlicht in der Schublade, weil Labelchef Berry Gordy nichts davon wissen wollte.
Norman Whitfield hatte Grapevine zusammen mit Barrett Strong geschrieben und mit Smokey und den Miracles eine erste Version produziert. Abgelehnt. Die zweite Version mit den Isley Brothers ereilte das gleiche Schicksal. Im Bewusstsein, einen großen Song in der Hand zu haben, machte Whitfield mit Marvin Gaye einen weiteren Versuch. Abermals von Gordy abgelehnt. Zuguterletzt versuchte er es mit einer schnelleren, Southern Soul orientierten Gospel-Version mit Gladys Knight & The Pips. Endlich gab Gordy sein ok und ließ die Single im September 67 veröffentlichen. Sie wurde ein Hit, No.2 der Pop-Charts, No.1 der R&B-Charts. Ich lernte diese Version damals kennen und lieben, sie gehörte mit zu den ersten Soulsingles, die ich richtig ins Herz geschlossen hatte.
Aber noch immer nichts von Marvin Gaye.
Im folgenden Jahr erschien seine Aufnahme dann auf dem Album In The Groove und bekam ein ziemliches Airplay. Dies schließlich führte endlich dazu, dass Motown sie, immerhin ein Jahr nach der Knight-Version, doch noch auf den Singles-Markt warf. Mit überwältigendem Erfolg. Gayes erste Nr. 1, die Single führte die Pop(!)-Charts sieben lange Wochen an und führte zur Umbenennung der LP.
Was macht Marvin Gayes Aufnahme so besonders?
Whitfield setzt ganz auf Marvin Gayes Stimme. Die Instrumente sind zurückgenommen, der Beat nicht motownhaft aufdringlich, sondern eher unscheinbar, wodurch einem der Track langsamer vorkommt. Die neue Tonart ist deutlich höher, dadurch wirkt Gayes Gesang etwas angestrengter, leidender und die Geschichte von der auseinanderbrechenden Beziehung viel intensiver und betroffener. Die tollen Strings im Hintergrund unterstreichen die unglückselige Situation. Alles bleibt in einem schwebenden Zustand der Angst vor der Wahrheit und des Festklammerns an der zu Ende gehenden Liebe.
Ein großartiger Song über ein alltägliches Liebesdrama und eine absolut perfekte musikalische Inszenierung. Einzig verwunderlich, dass Gordy die unvergleichliche Klasse dieser Aufnahme nicht auf Anhieb gehört hat.
(·) Diese holländische Single mit Sleeve ist sicher nicht sonderlich selten, dennoch nicht leicht zu bekommen. Weiß jemand, ob es eine dt. Pressung mit Bildhülle gibt?


Reparata & The Delrons: Captain Of Your Ship / Toom Toom (Is A Little Boy) 1968 D-mala

Reparata und ihre Delrons hatten ihre Wurzeln im Ausgang der Girl Groups-Zeit mit Hits wie Whenever A Teenager Cries und He’s the Greatest um 64/65. Dann tauchten sie ein wenig ab und kamen 1968 mit dieser Single wieder groß heraus. Zumindest waren sie in den Top Twenty im UK vertreten und bei uns immerhin so präsent, dass sie damit im Beatclub auftraten. Auch die Stones waren beeindruckt und verpflichteten sie ein Jahr später als Background-Sängerinnen für die Aufnahme von Honky Tonk Women.
Captain Of Your Ship ist anders als es das Girlgroup-Muster vermuten lassen würde. Der klassische Backgroundgesang fehlt ebenso wie das Girliehafte. Es ist eine Art moderner Sirenenstory. Lorraine Mazzola singt wie durch ein Megaphon, sirenenhaft becircend zieht sie das Männliche an. Der Song ist dramaturgisch geschickt aufgebaut, es gibt kein Entkommen.
Heißt es noch zu Beginn “and if you hadn’t guessed, this is a SOS if you still love me answer yes”, was durch entsprechende Morsezeichen unterstrichen wird, so endet die zweite Strophe mit „and now the compass points to love“. Wunderschön. Leicht psychedelisch angehaucht, perfekt produziert und absolut earcatching.
Ich habe diese Aufnahme damals geliebt, die Single eigentlich immer gesucht, aber ich hatte die Interpreten vergessen. Das mag auch daran gelegen haben, dass der Beatclub-Auftritt der Sängerin den Fünfzehnjährigen damals etwas enttäuschte. Roots weckte die Erinnerung wieder und so habe ich diese dt. Pressung fast zwei Jahre lang gesucht. In der Zeit wurde sie, so weit ich es mitbekommen habe, nur zweimal bei ebay angeboten. Eine davon habe ich gekauft. Die UK-Pressung ist häufiger, die Platte war ja ein Hit auf der Insel.

(·) Die dt. Pressung ist recht selten, aber scheint bislang nicht allzu teuer. Die UK-Pressung, mit einem wunderschön gestalteten Label übrigens, dürfte bei 8 – 10 Pfund liegen.


Townes Van Zandt: Riding The Range / Dirty Old Town 1996 UK-Exile

Auf einem der ersten Orange Blossom Specials in Beverungen lernte ich die Good Sons kennen. Ich unterhielt mich etwas länger mit Michael Weston King, dem Sänger der Band. Er erzählte mir von seiner Zusammenarbeit mit Townes und ich kaufte mir noch vor Ort ihr Album. Auf der Heimfahrt verliebte ich mich in Riding The Range, das er im Duett mit Townes aufgenommen hatte. Erst einige Zeit später registrierte ich, dass Townes selbst den Song auch auf einer Solo-Single veröffentlicht hatte. Diese Single nun fand ich zunächst ohne Hülle, dann kam aus Berlin vor kurzem auch das passende wunderschöne Sleeve dazu. Die Platte war erschienen auf Doebelings Label „Exile“!
Ich höre diese Single als ein Vermächtnis. Aufgenommen im September 1996 -Townes starb am 1. Januar 1997- enthält sie in ergreifender Weise eine Art Quintessenz seines Schaffens, wenngleich beide Songs aus fremder Hand stammen. Vielleicht gerade deshalb wirkt diese Platte so eindringlich und ergreifend. Denn selbst hinter den fremden Songs bleibt Townes jener unverwechselbare Musiker und Mensch, der er wohl immer war: Wortkarg, die Stimme brüchig jetzt, sehr reduziert musizierend, immer humorvoll und in allem zutiefst menschlich.
Das alte Lied von der Dirty Old Town, jener schmutzigen Stahl- und Industriestadt, die nichts zu bieten hat als das bisschen Farbe, das die Liebe hineinträgt, erscheint bei ihm in einem weit altersmilderen Licht. So ändert er die originalen Lyrics “I’m gonna make me a sharp axe”, die Stadt zu zerstören, in “I’m gonna make me a picture fine shining still covered in the fire.”
Riding The Range ist ein Song, der die Welt ein letztes Mal einzufangen sucht auf dem „own piece of the west“. Letzte Wehmut, ein letztes Treffen, ein letztes Good Bye.
Diese Single packt einen, schüttelt einen, nicht oft ist derart Ergreifendes in Rillen gepresst worden. Dass Townes seinen Humor aber selbst kurz vor seinem Tod nicht verloren hatte, zeigt sich nirgendwo schöner als in den letzten Takten, da er das Geheul des Coyoten nachahmt. Dank an WD als executive producer, dass er die howls in der Aufnahme beließ, und an ihn als sleeve designer, dass er auf dem Cover eigens darauf hinwies.
Tröstende Musik für den letzten Auftritt, belebende Musik für den Weg bis dahin.

(·) Soweit ich weiß, lagern noch einige wenige Exemplare der 2000er-Auflage bei WD in Berlin. Der Preis dürfte Verhandlungssache sein.

Today’s Tops:
1 Gaye
2 Yardbirds
3 Townes
4 Oasis
5 M&P
6 Reparata

(geändert nach nochmaliger, reichlicher Überlegung)

PS: Kommentare von Gastlesern gern auch an otis-online@gmx.de

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