Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #71
50’s

An die 50er habe ich keine Hörerinnerungen, jedenfalls keine, die Popmusik beträfen, bin mithin ein Nachgeborener. Die Singles jener Zeit konnte ich mir dementsprechend erst im Nachhinein durch Lesen, Suchen, Forschen, Vergleichen erschließen. Das macht Spaß, öffnet die Blickwinkel, bringt immer tiefere Einsichten, nicht nur in die Musik, sondern auch in das Lebensgefühl jener Zeit, und ist deshalb ungemein bereichernd.
Heute habe ich einige Singles ausgesucht, die nicht die allerwichtigsten der 50s sein mögen. Aber sie sind mir lieb geworden und mögen durch ihr Umfeld auch andere interessieren.


Lloyd Price: Stagger Lee / You Need Love 1958 D-Electrola

Specialty war ein kalifornisches Label, das sich auf schwarze Musik spezialisiert hatte und in den 50ern vor allem mit seinen Little Richard-Aufnahmen große Erfolge verbuchen konnte. Einer der ersten Künstler, die bei dem Label aufhorchen ließen, war Lloyd Price aus New Orleans, den man als Achtzehnjährigen Anfang der 50er verpflichtet hatte und der dann auch gleich mit Lawdy Miss Clawdy 1952 einen No.1. Hit hatte. Nach sechs Top Ten-Hits rückte Price in den Korea-Krieg ein und konnte erst 1958 bei ABC-Paramount wieder an frühere Erfolge anknüpfen und diese gar übertrumpfen. Besonders diese Single war ein weltweiter Millionseller.
Stagger Lee ist ein personalisierter Topos im amerikanischen Folk. Lee Sheldon alias Stagger Lee (Stack-O-Lee, Stagolee…) war ein brutaler Mörder, der 1895 seinen Freund wegen einer Kleinigkeit erschoss. Weil er ihm den Hut vom Kopf gerissen hatte, so die Historie, nach einem Streit beim Kartenspiel, sagt die Song-Legende. Nach diesem Mord verließ Lee den Saloon des Grauens, als wäre nichts gewesen. „Sheldon took his hat from the hand of the wounded man and coolly walked away“ vermeldete der St. Louis Globe Democrate andertags.
Eine Story, wie man sie aus Hunderten von Western kennt, aber zum Ende des 19. Jhdts. auf Grund der demonstrativ zur Schau gestellten Gefühlskälte wohl doch schon eine besondere war, weswegen die Geschichte alsbald legendär und besungen wurde.
Dieses Traditional wurde sehr häufig gecovert (W. Pickett, B. Darin, N. Cave, Grateful Dead…), die Price-Version aber machte sie erst zum Pop-Hit und sie ist in ihrer Art auch unübertroffen.
Nach zwei einleitenden Versen, die den Hörer zunächst in die heile Welt eines lauen Herbstabends entführen, erzählt Price dann mit seiner unvergleichlichen Stimme die Mörder-Saga. Mir kommt beim Hören das Bild eines weinenden Jungen vor Augen, der nach Hause läuft und seiner Mutter völlig aufgelöst von dem gerade zuvor Erlebten berichtet. Fassungslosigkeit gepaart mit Atemlosigkeit. Absolut fantastisch. Der Gesang also das eigentliche Highlight der Aufnahme. Aber keine Frage, Don Costa’s Orchester und die Background-Vocals geben dem Ganzen einen ebenbürtigen Rahmen. Schneidend scharf das alles, kompromisslos direkt und ohne jegliches Augenzwinkern. So sehr, dass die Story für einen American Bandstand-Auftritt mit Happy End versehen wurde!! Lee und sein Fraund vertragen sich wieder.
Kein Wunder aber auch, dass diese Aufnahme sehr schnell von der angedachten B-Seite zur A-Seite wurde und, einmal entdeckt, über Nacht ein Riesenhit wurde.
You Need Love wäre sicher eine gute Single gewesen, aber gemessen an Stagger Lee doch sehr harmlos. Louis Prima fällt mir als Vergleich ein.

(·) Als deutsche Pressung sicher nicht ganz leicht zu bekommen. Aber wohl auch nicht allzu teuer.


Don And Dewey: Jungle Hop / A Little Love 1957 US-Specialty

Specialty hatte seit 1955 mit Little Richard ein ganz heißes Eisen im Charts-Feuer, der reichlich exaltierte Sänger stellte ein schwarzes Gegengewicht zum King dar und hatte eine entsprechende Gefolgschaft. Immerhin so sehr, dass noch die ersten Aufnahmen von Otis Redding eindeutig auf das große Vorbild zurückgingen.
Wer Jungle Hop hört, erkennt ebenfalls auf Anhieb den Bezug zum großen labelmate. Die rauen vocals der beiden (Don Harris, Dewey Terry), nein, die ganze Aufnahme hätte gut und gern von Penniman selbst stammen können. Ungestümer Rock’n Roll mit vielen breaks, jumping and driving, hier allerdings mit tollem Gitarrensolo anstelle des Klaviers. Und selbiges ist wohl Don zuzuschreiben, der später zur Violine griff und als Don „Sugarcane“ Harris bei Zappa reüssierte. Zwischenzeitig dürften Don und Dewey von den Tantiemen einiger ihrer Songs, wie Farmer John, I’m Leaving It All Up to You, Justine etc. ganz gut überlebt haben.
A Little Love ist übrigens kaum weniger toll.

(·) Die Single dürfte um die 20 $ kosten. Ich weiß allerdings nicht, ob es zwischenzeitig Reissues davon gegeben hat.


Sam Cooke: You Send Me / Summertime 1957 US-Keen

Als Little Richard Penniman sich 1957 vom schnöden Rock’n Roll lossagte und zum Prediger mutierte, war das gleichzeitig der Anfang vom Ende des großartigen Specialty-Labels. Denn ebenfalls zu der Zeit traf Label-Chef Art Rupe eine folgenschwere Entscheidung, die ihn sein Lebtag gereut haben dürfte: Er entließ Sam Cooke aus seinem Vertrag. Cooke hatte bis dahin mit seinen Soul Stirrers die Gospelklientel von Specialty bedient und wollte nun auf den weltlichen Markt. Rupe zögerte, dabei mitzumachen, und Sam Cooke ging zu Keen.
Dies ist seine erste Single dort, sie wurde auf Anhieb 1,7 Millionen Mal verkauft und markierte den Beginn seiner Pop-Karriere, wenn nicht den Beginn der Soulmusik.
Als Autor ist auf Grund eines Urheberrechtstreites mit dem alten Label „L.C. Cooke“ angegeben, ein „Bruder“ Sams.
You Send Me ist ein Wunderwerk von Popsong, extrem einfach gehalten, das Arrangement aufs Äußerste reduziert, ein bisschen Chor, ein wenig Gitarre und sanfte drums. Alles im Dienste der unvergleichlichen Stimme Sam Cookes. Absolut brillant, ein Alltime-Klassiker, eine unvergleichliche Perle im Reiche der Love-Songs.
Gershwin’s Summertime hat entgegen den Erwartungen deutlich mehr drive als die A-Seite, kommt also mit vergleichsweise gehörigem Beat daher. Die E-Gitarre gibt dem Song gar ein ganz eigenes Gepräge, wie man es damals kaum andernorts bei Summertime-Aufnahmen gefunden haben dürfte. Ebenfalls überaus hörenswert.

(·) Diese Single ist nicht sonderlich selten, aber, wie alle großen 45s jener Zeit, in mint wohl recht begehrt.

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