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Faves #70
Mit der #70 jährt sich das Bestehen dieses Threads zum zweiten Mal. 420 Singles wurden in dieser Zeit vorgestellt. Lebenslange Begleiter, musikalische Weggefährten und ganz junge Bekannte. Allesamt ganz persönlich gehört und gewichtet, kein Anspruch auf Objektivität oder Wissenschaftlichkeit. Mehr und mehr hat sich in dieser Zeit eine Top 100 herausgeschält, was anfänglich das Ziel war. Fertig ist sie noch nicht. Aber sie hat schon eine stattliche Form.
Sicher hat es mir selbst viel Freude gemacht, die Platten intensiv zu hören, ihre Wertigkeit in Worte zu fassen. Aber durchgehalten habe ich eigentlich nur, weil so viele in diesen Thread hineingeklickt haben und mir durch Kommentare hier oder andernorts ihr positives Interesse bekundet haben. Danke dafür.
Ganz besonderer Dank aber gilt tops (aka Wolfgang Doebeling), der mich damals auf die Idee für diesen Thread brachte und dann, wie andere, mit seinen Kommentaren zum Durchhalten und Weitermachen ermunterte.
Die heutige Auswahl sei deshalb eine Hommage an seine Sendung Roots, der ich im Laufe der Zeit so viele Anregungen entnehmen konnte und … ohne die ich keine der heutigen Singles besäße. Diese sechs mögen vielleicht nicht sonderlich spektakulär sein und sicher hätte ich statt ihrer auch ein paar andere auswählen können, aber sie bilden auf ihre Weise die Bedeutung ab, die Roots für mich hat, und sollen deshalb pars pro toto stehen.
The Nitty Gritty Dirt Band: Buy For Me The Rain / Candy Man 1967 US-Liberty
Roots ist eine Sendung, die keinem Musikstil verpflichtet ist, die zwischen Rock’n Roll, Jazz und Punk, zwischen Country, Folk, Beat und Soul immer das präsentiert, was gut und hörenswert ist. Einen besonderen Schwerpunkt bildet aber americana-Musik im weitesten und besten Sinn: Musik aus den Staaten von 1930 bis heute, die ihre Wurzeln im Blues, Folk und Country hat; Musik, die bis heute lebendig geblieben ist. Und das ist auch meine Musik. Zwei Beispiele auf Single seien hier vorgestellt.
Die Nitty Gritty Dirt Band habe ich damals erst ab 1970 mitbekommen, mit Uncle Charlie und dann dem Dreifachalbum Will The Circle… Ich hatte die erste LP nie besessen, um so erstaunter war ich und auf Anhieb begeistert, als der DJ eines Sonntagnachts diese ihre erste Single spielte.
Buy For Me The Rain ist ein wahres Kleinod amerikanischen Folk-Rocks, wie er zu jener Zeit hauptsächlich in Kalifornien gepflegt wurde. Bands wie die Byrds, Beau Brummels, Mamas & Papas, Hearts And Flowers, Mojo Men und viele andere mögen als Bezugspunkte dienen.
Buy For Me The Rain hat sehr wenig Rockiges. Auch wenn es einen kräftigen Bass und leise Drums im Hintergrund gibt, lebt der Track in erster Linie von einem quirligen Cembalo, akzentuierenden Strings und feinsten Vocals, die an die Mamas & Papas erinnern.
Mit Rev. Gary Davis’ Candy Man begibt sich die Band dann etwas mehr in Richtung Country(rock), der nur wenige Jahre später ihre musikalische Heimat wurde. Eine funkensprühende, übermütige Version dieses in der Westcoast-Szene beliebten Songs.
Insgesamt also eine ganz tolle Single und seinerzeit ein kleiner Hit in den Staaten.
(·) Recht leicht zu bekommen, scheint mir, und nicht sonderlich teuer.
Harry Dean Stanton: You Don’t Miss Your Water / Across The Borderline 1993 US-Rx Remedy Records
In schon bekannten Gefilden weiterforschen und immer wieder Neues entdecken, dafür steht Roots. Und dann und wann tauchen Perlen auf, die kaum irgendwo gelistet oder bekannt sind, aber dennoch von ganz großer musikalischer Klasse. Diese Single ist so ein Fall. Nur gut, dass WD solche Platten immer wieder mal hervorholt und alle paar Jahre einmal spielt, denn oft sind sie so selten, dass man sie kaum auf dem Markt findet.
Harry Dean Stantons Platte hatte mich auf Anhieb gepackt. Für William Bells großartigen Song, als solcher überaus einfach und gleichzeitig packend, findet Stanton hier eine kongeniale Umsetzung. But when you left me, oh how I cried. You don’t miss your water till your well runs dry. Weniger Worte kann man kaum finden für diesen Zustand und schöner und stimmiger können sie kaum gesungen werden als von dem Schauspieler Harry Dean Stanton (Paris Texas, Pat Garrett, Wild At Heart…), eingebettet in ein wunderbar feinfühliges und zurückhaltendes Arrangement.
Ry Cooders Across The Borderline ist da textmäßig weit wortreicher, aber auch hier findet Stanton den richtigen Ton und es ist längst nicht ausgemacht, welches denn nun die bessere Seite dieser herausragenden Single ist. Ich tendiere zur A-Seite, allein wegen ihrer extremen Reduziertheit. Es ist nämlich schon eine ganz große Kunst, insgesamt nur vier Textzeilen und den oben zitierten Refrain in mehr als fünf Minuten Musik auszubreiten und keine einzige Sekunde davon langweilig oder gar überflüssig erscheinen zu lassen.
(·) Ohne Roots hätte ich die Platte im doppelten Sinne nicht, weder jemals gehört, noch in meinem Besitz. Dank an den DJ.
The Fortunes: The Idol / His Smile Was A Lie 1967 D-United Artists
Eine weitere Wertigkeit erhält Roots für mich dadurch, dass Musik von gemeinhin bekannten Musikern gespielt wird, die außerhalb ihrer „Hoch“zeit entstand. Wolfgang Doebeling scheint ein Vergnügen daran zu haben, tracks von Bands zu präsentieren, denen man diese entweder gar nicht oder nicht in der entsprechenden Entstehungszeit zugetraut hätte. Ein Plädoyer seinerseits also für den Künstler als solchen, abseits von Chartserfolg, Marktwert und Verkäuflichkeit.
Zwei Beispiele seien vorgestellt, die aber nicht annähernd repräsentieren können, wie viel Verstecktes da in der Musikgeschichte schlummert und wie viele Anregungen ich in dieser Hinsicht am Sonntagabend schon bekommen habe.
Die Fortunes sind schon mit zwei Singles von 64/65 in diesen Faves vorgestellt worden. Lange nach ihrer erfolgreichen Beatphase und Jahre vor ihrer erfolgreichen Spätphase erschien diese Platte mitten in das Jahr 1967 hinein. Fortunes go psych? (Dazu war sich, wie man weiß, in diesem Jahr kaum eine Band zu schade.) Ja, zumindest psychedelic light mit Fuzz-Gitarre, angedeuteten Loops und … mit einem tollen Pop-Song. Schöner Refrain, klasse vocals. Kaum nachzuvollziehen, dass die Single kein Hit wurde. Aber die Jahre damals waren voll von guter Musik. Auch die Rückseite ist wirklich gelungen und lässt einige wunderschöne Ideen hören. Eine tolle Single.
(·) Eher selten, aber nicht sonderlich gesucht und deshalb wohl nicht allzu teuer. Das wunderschöne Cover sollte ein zusätzlicher Kaufanreiz sein.
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