Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #66


New York Blondes: Little GTO / Holocaust On Sunset Blvd. 1978 D-Line

Sieht aus wie „Blondie“, ist nicht „Blondie“. Singt wie „Blondie“, ist „Blondie“. Auf dem Cover dieser Single sollte jedenfalls Deborah Harry nicht zu sehen sein, das hätte Probleme mit ihrer Plattenfirma gegeben. Auf dem Label wird sie vorsichtshalber auch nicht erwähnt, aber sie singt hier definitiv auf der A-Seite das Little GTO. Meine Recherchen haben keinen wirklichen Aufschluss über diese seltsame Platte, die auch in den USA und im UK erschien, ergeben, so dass ich sie einfach mal so vorstelle, wie sie hier vor mir liegt und mit dem, was ich darüber weiß.
Mastermind hinter allem war Rodney Bingenheimer, der angesagte DJ in LA. Seinen ausführenden Produzenten und Arrangeuren (D. Philipps und D. Scott) werden auch die credits der B-Seite zugesprochen. Mit Little GTO coverten sie den alten Ronny & The Daytonas-Hit, einen der Car-Song-Klassiker. Hier fast doppelt so schnell wie im Original dargeboten. Nicht wirklich punkig, dafür fehlt der Gitarren-Druck, den man z.B. von den Ramones gewohnt ist, sondern in erster Linie schnell. Und Deborah Harry singt. Ihre leicht unbeteiligt wirkende Stimme passt vorzüglich in dieses Arrangement und lässt diesen rasanten ride nur noch um so cooler wirken. Klasse.
D. Harry ist auf der B-Seite nicht involviert. Einigen Aussagen im Internet zufolge scheint dieser Track manchen gar der wichtigere. Holocaust On Sunset Boulevard kann ebenfalls als eine Art car-song gehört werden. Der Hintergrundbeat zu Beginn legt es nahe. Allerdings sind die Vorzeichen hier völlig andere. Nach einem sirenenhaften Intro mit anschließendem Stimmen von Streichinstrumenten folgt eine Soundcollage aus Alltagsgeräuschen und Gesprächfetzen. Zunächst ist das alles noch mit besagtem Suicide-ähnlichen Beat unterlegt, dann, nach mehrfachem „we gotta get out of this place“, wird es immer formloser. Zum Ende hin hört dann alles auf eine marching band, die mit ihrer auftrumpfenden Fröhlichkeit geradewegs den Weg aus der Fernsehserie The Prisoner (Nummer Sechs) auf den Sunset Boulevard genommen zu haben scheint. Wenig erbaulich und mir nicht völlig einleuchtend, dennoch irgendwo stimmig.
Die Tracks sind wohl 1978 aufgenommen worden und in den Staaten zunächst auf Bomp erschienen, dort seitenvertauscht und unter dem Namen Rodney & The Brunettes auf der einen und New York Blondes feat. Madame X auf der anderen Seite. Das dt. Line-Label machte es sich da einfacher, packte ein Hülle drumherum und fertig war ein kleine Kultsingle.

(·) Die Platte ist noch ganz gut zu bekommen. Ca. 10 Euro.


The Nice: The Thoughts Of Emerlist Davjack / Azrial 1967 D-Immediate

Da hatten sich vier hochkarätige englische Musiker als backing-band von P.P. Arnold zusammengefunden und wegen ihrer ganz eigenen Klasse schon bald Angebote für eigene Auftritte bekommen. Sie nannten sich in der Folge schlicht und einfach The Nice, „das Schöne“, und wurden kaum ein Jahr später vom Melody Maker „zur besten Rockgruppe Großbritanniens“ gekürt, sagt Schmidt-Joos. Auch wenn sie heute kaum noch irgendwo genannt oder sonderlich viel gehört werden, The Nice war eine der einflussreichsten Gruppen aus der zweiten Hälfte der 60er, waren sie doch die wohl wichtigsten Wegbereiter des Prog, und nicht von ungefähr ist Keith Emersons Einfluss für diese Szene kaum zu überschätzen. Dass ich als Prog-Verächter dennoch vieles von den Nice sehr gut finde, ist daraus erklärbar, dass ihrer frühen Musik noch so viel naiv Verspieltes, grenzensprengend Neues und musikalisch Intelligentes anhaftet ohne sonderlich selbstbezüglich oder gar selbstverliebt zu sein.
Diese ihre erste Single hieß wie die Debüt-LP, die erst lange danach und damit zu spät erschien, The Thoughts Of Emerlist Davjack. Emerlist Davjack war eine Verballhornung ihrer vier Namen: K. Emerson, D. O’List, B. Davison und L. Jackson. Ganz aus dem Gruppengedanken heraus waren die Credits der Songs auch diesem Namen zugewiesen. All das miles away von den Solotrips des seiner eigenen Virtuosität selbstverliebt huldigenden Emerson nur wenig später. Kein Wunder, dass der Mann nichts verstand von Country, von Blues. David O’List, der mit Soli a la Hendrix aufzuwarten wusste, verließ die Gruppe denn auch nach einem Jahr. Dass ihre Musik, die durchaus psychedelische Züge hatte, dennoch nicht übermäßig ankam und verkauft wurde, mag auch daran gelegen haben, dass die Band nicht sonderlich viel Energie in elektronische Spielereien steckten, sondern eher einer handmade psychedelia frönte, ausgesprochen durchsichtig und ohne jegliche musikalischen Nebelschwaden, was sie etwas sophisticated clean erscheinen ließ. Und möglicherweise daran, dass sie keinen vernünftigen Sänger hatten, weshalb oft eine Art Sprechgesang zu hören ist.
Nun aber zu dieser wunderschönen Single, die ich seit Erscheinen sehr liebe.
Es ist ein überaus fröhliches, sehr poppiges, aber auch recht zergliedertes Stück Musik, dessen Reize sich für den Normalverbraucher sicher nicht leicht erschlossen. Dennoch sind so viele schöne Stellen enthalten und es endet schließlich auch recht hymnenhaft, dass die schnöde Nichtbeachtung durch den Markt etwas unverständlich bleibt.
Azrial ist dagegen spröder und härter, immerhin dem Todesengel gewidmet, aber nicht weniger faszinierend.
Im Rückblick schon interessant, wie unterschiedlich sich zwei der führenden UK-Bands von 1967 entwickelten, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. The Nice lösten sich auf und aus Pink Floyd wurden vergötterte Superstars.

(·) Das zeigt sich auch in den Preisen für die Singles. Keine der Floydschen-Columbia-7“s dürfte noch im zweistelligen Bereich zu bekommen sein, während ich für diese Single in Mint vor einigen Monaten gerade einmal 9 Euro bezahlt habe.


Mo-Dettes: Paint It Black / Bitta Truth 1980 D-Deram

Paint It Black war die zweite Single der Mädchengruppe (bei der unter anderem Kate Korus von den Slits mitspielte) und sie kam sogar zu Chartsehren, wenn auch nur auf Rang 48. Der deustchen Deram reichte es für den verunstaltend fetten Aufdruck „Top-Hit England“ auf dem Cover. Immerhin aber erblickte die Single auch bei uns das Licht der Welt.
Die Mo-Dettes sahen sich in der Mod-Tradition und passten ganz gut in das UK-Mod-Revival zur Dekadenwende. War die erste, ebenfalls hervorragende Single „White Mice“ noch etwas Lene Lovich-soundalike, so fanden sie hier einen andere Sprache. Mit Paint It Black konnten sie natürlich nicht viel falsch machen. Dennoch hielten sie sich keineswegs an das Stones-Arrangement mit den alternierenden Achteln, sondern bauten vielmehr auf der kleinen Rhythmusfigur der Rhythmusgitarre, die zum Ende des Originals zu hören ist, ihr luftiges Arrangement auf. Dadurch bekommt das Ganze etwas Unruhiges, Treibendes. Gut gemacht, Girls.
Bitta Truth ist eine Eigenkomposition, deren Copyright sie aber, ganz die Mods, laut Label ins Jahr ´66 zurückdatieren. Auch dies Girlbeat in Lo-Fi, wobei wie auf der A-Seite der feine Bass besonders hervorsticht.

(·) Die Singles der Band scheinen nicht sonderlich gesucht, jedenfalls bekommt man sie meist noch recht günstig.

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