Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #64

(Un)knowns
Heute kann keine der Singles eine Anwartschaft auf die Top 100 geltend machen. Interessant und hörenswert sind die vorgestellten dennoch allemal, obwohl einige von ihnen reichlich unbekannt sein dürften. Aber auch solche 7“s sollten einmal die Chance haben, einer kleinen, interessierten Öffentlichkeit bekannt zu werden. Und so ganz nebenbei ergibt sich zudem noch ein sehr verspäteter Geburtstagsgruß an Dylan.


The M.P.D. Limited: Little Boy Sad / Wendy Don’t Go 1965 AUS-GO!!

Meine Beziehung zu dieser australischen 60s-Band gehört in die Kategorie Lost Treasures. Mitte/Ende der 70er erstand ich eine neuwertige deutsche Ariola-Single dieser Band. Ich liebte sie, hegte sie, pflegte sie. Irgendwann erlag ich Ende der 80er dem Digi-Wahn und verhökerte das schöne Stück aus vermeintlicher Geldnot für eine paar schnöde Mark. Seit jener Zeit bereue ich diesen Verkauf von Jahr zu Jahr mehr. Die Schmerzgrenze ist nun erreicht.
Obige Single ist die erste von insgesamt sechs 7“s, die The M.P.D. Limited (oder MPD Limited oder MPD Ltd. oder M.P.D. Ltd., die verschiedenen Schreibweisen erschweren es zusätzlich, etwas von der Band zu finden) veröffentlicht haben.
Bis auf Little Boy Sad und die zweite 7“ (Lonely Boy/Wild Side of Life) waren alle auch in Australien nur mäßig bis gar nicht erfolgreich. Und dennoch steckte in der Band aus Melbourne Band eine Menge Potenzial. Ihre Köpfe waren Danny Finley, Mike Brady und Pete Watson.
Little Boy Sad ist der Johnny Burnette-Hit. Etwas roh und sehr offen in der Produktion mutiert der beschwingte, Rockabilly-angehauchte Track hier zu einer bass-orientierten, eher langsamen Nummer, so wie es DC5 oder die Renegades ebenfalls drauf hatten. Sie zieht einen langsam, dafür unwiderstehlich in ihren Bann und nach zwei, drei Durchläufen kann man gut verstehen, dass diese Single damals in Australien ein Hit wurde. British invasion also auch downunder.
Aber es klingt auch eine Menge US-Garage mit, vor allem was die Vocals anbelangt. Das kommt besonders bei der überaus gut gelungenen B-Seite Wendy Don’t Go rüber, einer Eigenkomposition mit deutlich mehr Pop, meinetwegen Schrammelpop, wie wir ihn heute zu lieben und goutieren wissen. Eine feine Hookline, ein schönes Arrangement und gute harmonies.
Insgesamt eine tolle Platte, auch wenn ich viel lieber die oben erwähnte Ariola-Single (Nr. 19124) vorgestellt hätte, jene, die als A-Seite Absence Makes The Heart Grows Fonder (gut, aber nicht überragend) und als Rückseite den ****1/2-Track I Am What I Am hatte. Eine Garage-Beat-Nummer mit Turtles-touch und einem tollen Refrain. Wie es zu dieser dt. Veröffentlichung kam, ist mir ziemlich rätselhaft. Die Band war zwar Mitte ’66 zu (gerade mal zwei) Konzerten nach England gefahren (by sea!!), war auch bei Pye im Studio; Veröffentlichungen oder größere Resonanz ergaben sich aber nicht daraus. Dennoch brachte die deutsche Ariola eine Single auf den Markt, die nicht mal in Australien als dortige Pressung Interesse fand. Wahrscheinlich existiert nur eine Handvoll davon. Ich würde sofort 100 $ für ein toll erhaltenes Exemplar zahlen. Aber es gibt sie nicht. Help!

(·) Die obige Aussie-7“ dürfte bei entsprechender Erhaltung 20-30 $ kosten. Sie erschien auch in den USA auf dem Label „LTD international“. Die ebenso interessante Lonely Boy scheint gar noch leichter erhältlich. Alles andere ist ausgesprochen selten und auch recht gesucht, wenn man die Preise anschaut.
Raven veröffentlichte Anfang der 80er eine Compilation-LP, die es da und dort noch gibt. Ausdrücklich gewarnt sei vor der CD „MPD Limited: The Legendary Go!! Recordings“. Habe selten eine flachere Dynamik und eine schlechtere Überspielqualität gehört. Also entweder Vinyl oder gar nichts. Und das Angebot bzgl. der Ariola für 100 $ steht. ;-)


The Vacels: Can You Please Crawl Out Your Window / I’m Just A Poor Boy 1966 D-Kamasutra

Wer sind The Vacels? Es ist kaum etwas herauszubekommen. Das Cover zeigt vier Bandmitglieder, man munkelt sie seien Long Island based (obwohl sie musikalisch eher in Kalifornien beheimatet sein könnten). Außerdem erblickten zwei Singles auf Kamasutra das Licht der Öffentlichkeit, die beide gar nicht einmal über die Maßen selten scheinen. Dieses Dylan-Cover ist sogar als dt. Pressung veröffentlicht worden.
Dylan hatte den Song Ende ´65 als Single veröffentlicht und die Vacels nahmen sich seiner sofort an und brachten ihre überschäumend kraftvolle Version davon auf den Markt, die unüberhörbar die frühen Turtles zum Vorbild hatte. Zwar wird vieles US-amerikanische aus jener Zeit gern dem garage-punk zugerechnet, aber das trifft hier nur sehr bedingt bis gar nicht zu (auch wenn es da und dort zu lesen ist). Das Arrangement ist mit seinen Bläsern recht aufwändig und elaboriert, einzig die Vocals und der leicht übersteuerte Sound mögen eine Nähe zur Garage erkennen lassen. Dadurch bekommt das Ganze allerdings jenen überdrehten Punch, der frei von allzu großen Feinheiten dann doch wieder für die US-Beatszene jener Zeit recht typisch ist. Eine Art früher Folk-Punk also. Ähnlich die Rückseite. Eine tolle Platte.
Auch die erste 7“ der Band (You’re My Baby) ist sehr lohnend, wobei musikalisch hier der englische Einfluss deutlich größer ist.

(·) Die Single erschien auch im UK (auf Pye). Allerdings dürfte die dt. Pressung mit der Bildhülle die wichtigste sein, da diese das möglicherweise einzig verfügbare Foto der Band zeigt. Die US-Pressung ist recht gut und günstig zu bekommen sein, die dt. Pressung für weniger als 20 Euro als Schnäppchen anzusehen. Leider ist mein erstes Mint-Exemplar den Weg der Wege gegangen, so dass ich sie derzeit nur mit diesem leicht zerknitterten Sleeve habe.


Noreen & Donna: Lonely Fool / If You Would Only Be Mine 1960 US-Carlton

Der Zufall spielte mir diese Single auf den Plattenteller: Carlton war ein angesehenes Label (mit immerhin Jack Scott im Stall); zwei Mädchen als Interpretinnen; von der Bestellnummer her girl group-Zeit. Also kaufte ich blind. Über die beiden Mädels hatte ich zunächst nichts in Erfahrung bringen können, aber immerhin tauchten sie in John Clemente’s Girl Groups-Buch auf. Ja, und dann habe ich mich in diese Single verliebt.
Was hören wir? Zwei girls, die ihren Liebeskummer beweinen und deren anrührendes Selbstmitleid sich zu der Refrainzeile I’m just a lonely fool verdichtet. Der Song ist melodisch auf eine paar wenige Melodielinien reduziert, abfallend, traurig, flach, schlaff, dem Schicksal ergeben, aber keinesfalls kitschig überzogen, sondern durch das tolle Arrangement zu großartigem Pop überhöht. Wir hören ein lethargisch klimperndes Piano, welches von grausam kommentierenden, unnachsichtigen Streicherfloskeln konterkariert wird, und irgendwann eine Gitarre, die zusätzliche Akzente setzt. Toll.
Heute weiß ich dank Google ein wenig mehr über Noreen und Donna Corcoran. Sie waren zwei von sieben Kindern eines Bill Corcoran, der als „policeman“ innerhalb der MGM-Studios seine Dienste tat. Mir nichts, dir nichts hatte er seine Kinder als kleine Darsteller untergebracht, so dass alle sieben in diesem Geschäft kleinere und größere Karrieren machten. Die beiden Teens Noreen und Donna, sie gehörten zu den ältesten der Kinderschar, bekamen zudem die Chance diese Platte aufzunehmen, die sich allerdings nicht in größeren Stückzahlen verkauft haben dürfte. Die beiden Exemplare, die ich gefunden habe (meines und ein weiteres im Netz), sind zudem D.J.-copies. Weitere Singles von ihnen sind mir nicht bekannt.

(·) Der Preis der im Internet gefundenen Single lag bei 30 $.

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