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Weiter geht‘s mit meinem Streifzug durch die Diskografie von Chet Baker. Garantiert unvollständig, chronologisch ungenau und von der Beurteilung voreingenommen und subjektiv.
Chet Baker – Baby Breeze (1965)
Die vorzügliche Chet Baker in Paris ist eine Compilation, hört sich aber nicht so an. Baby Breeze ist keine Compilation, hört sich aber so an.
Es gab nach Chet Bakers erster unfreiwilliger drogen- bzw. gefängnisbedingter Auszeit Anfang / Mitte der 60er offenbar mehrere Versuche seiner Karriere neuen Schub zu geben. Chets Billie Holiday-Tribut scheint einer davon zu sein, die vermutlich unsäglichen Alben mit Mariachi-Musik oder ein Album mit dem Titel Blood, Chet & Tears sind wohl andere. Baby Breeze hat glücklicherweise einen anderen Ansatz.
Baby Breeze enthält Aufnahmen mehrerer Sessions mit unterschiedlichen Besetzungen. Das geht vom klassischen Quintett über ein Quartett mit Flöte, Bass und Drums bis zum Trio mit Piano und Gitarre und Duos mit nur Chet und Gitarre. Die Begleiter sind mir größtenteils unbekannt – mit Ausnahme von Bob James hier und dort am Klavier und Kenny Burrell an der Gitarre. Chet selbst spielt hier übrigens Flügelhorn, da ihm seine Trompete kurz vor den Sessions geklaut wurde.
Die Platte beginnt mit Baby Breeze und das hört sich wie die anderen Aufnahmen in klassischer Besetzung zeitgemäß nach 60er Post-Bop an. Chet ist top-fit und das klingt sehr flott. Soweit eine okay-e Platte. Die Höhepunkte sind in meinen Ohren aber klar erstens) die Balladen, in denen Chets Stimme auf dem Horn richtig gut zur Geltung kommt und zweitens) die Gesangsstücke mit sparsamer Begleitung, besonders, wenn Kenny Burrell mit seinem understateten Spiel eine ganz wunderbar zarte und zerbrechliche Kombination mit Chet ergibt. Ein eigenartiger Ausreißer ist der Song Taste Of Honey, bei dem Pianist Bobby Scott ein schepperndes Honky Toni-Piano spielt. Da stelle ich mir Chet in einem Saloon mit Cowboyhut neben dem Klavier stehend vor, an dem ein dicker Mann mit Zigarre sitzt. Und dann gibt es da noch das aptly titled Stück One With One, Chet auf dem Flügelhorn, ein Frank Stozier spielt Flöte + p, b und dr. Herrlich, wie sich die beiden Bläser hier aneinander schmiegen, voneinander lösen und gegenseitig umspielen. Drei Minuten Seligkeit! Übrigens keine gängigen Standards auf der Platte. Sehr gutes und originelles Album!
Hinsichtlich der stilistischen Entwicklung von Chet Baker muss ich mich etwas korrigieren: Chets Markenzeichen ist sicher dieser zarte Ton, der fast ansatzlos in der Luft steht und genau so wieder verschwindet, wie er gekommen ist. Und dann verortet man ihn meist irgendwo im West Coast / Cool Jazz. Mir scheint, mit zunehmenden Alter wird sein Ton flexibler und seine stilistische Bandbreite wird weiter. Auf Baby Breeze ist davon schon ziemlich viel zu hören.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)