Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Chet Baker › Antwort auf: Chet Baker
Let‘s Get Lost (Bruce Weber, 1988)
Der hier teils hoch gelobte, teils böse gescholtene Dokumentarfilm von Bruce Weber. Ich hatte den Film früher schon mal gesehen, konnte mich aber nicht mehr so recht erinnern. Gestern habe ich mir Let’s Get Lost daher noch mal angesehen.
Wer einen journalistisch faktentreuen Film über das Leben von Chet Baker erwartet, wird hier enttäuscht. Bruce Weber geht es um Chet Baker als Ikone und Mythos und den widersprüchlichen Menschen, der dahinter steht. Jazz-Wunder, männliche Sexbombe, gefallener Engel, Strafgefangener, Drogenwrack und wiederauferstandene Legende. Das süße Leben am Strand von Kalifornien und in Italien, Parties und schöne Frauen. Eine enttäuschte Ex-Ehefrau und eine sich selbst inszenierenden Ex-Geliebte erzählen verschiedene Versionen der gleichen Geschichten aus seinem Leben, Chet Baker eine dritte, seine Kinder aus Oklahoma grüßen ihn in die Kamera hinein, da sie ihn im richtigen Leben ja nicht zu Gesicht bekommen. Zeitungsausschnitte über seine Verhaftung in Italien, Filmausschnitte aus italienischen B-Movies, in denen er mitspielte. Ausgeschlagene Zähne. Live-Auftritte und Interviews, in denen man aus Chets Munde erfahren kann, wie die Mixtur eines guten Speedballs sein muss: „Not too much cocaine!“ Bekenntnisse und Selbstinszenierungen eines gealterten und zerknautschten Chet Baker. Gefilmt in stylischen Schwarz-Weiß, collagiert und berauschend geschnitten. Das gibt kein vollständiges Bild von Chet Baker, bleibt bruchstückhaft und ist sicher auch subjektiv. Aber der Film selbst wirkt wie ein Trip. Es geht weniger um die Fakten als um das Gefühl. Danach sagt man zu sich selbst: „Let‘s get lost!“ – aber zweifelt sofort wieder daran, ob das wirklich eine so gute Idee ist.
Bruce Weber ist eigentlich Modefotograf, der von den Fotos von Chet Baker, die William Claxton in den 50ern gemacht hat, fasziniert war. Bei den ersten Szenen des Filmes kam mir – Vorsicht, festhalten! – dieses Video von den Pet Shop Boys in den Sinn. Kein Wunder: Regisseur Bruce Weber.
Edit: Man kann Let’s Get Lost – in etwas schlichter Qualität – hier komplett sehen.
zuletzt geändert von friedrich--
„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)