Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Don Gibson: Lonesome Number One / The Same Old Trouble 1962 D-RCA

Don Gibson hat eine Vielzahl Singles gemacht. Ein Überblick ist schwierig, die allermeisten sind gut bis sehr gut, habe ich den Eindruck. Aber einige haben die Höchstnote verdient. Vor längerer Zeit schon habe ich Oh Lonesome Me / I Can’t Stop Loving You hier vorgestellt, heute nun ein weiterer Klassiker des Songschreibers und Rockabilly-/Country-/Popstars.
Although no titles have I won, I surely must be lonesome number one. Das Leben als verlorenes Liebesmühen, darum geht es. Dennoch keine Weinerlichkeit, das lässt das Arrangement gar nicht zu, sondern eine augenzwinkernde Selbstironie, die frappierend ist. Voller Frische wird mit leicht spanisch angehauchter Gitarre, gesummtem Background und flottem Rhythmus die „Preisverleihung“ schöngezeichnet, leicht konterkariert durch die Elvis-ähnliche Stimme Don Gibsons, die bei aller Samtigkeit ganz leicht ihre Betroffenheit durchscheinen lässt. Wunderschön.
Die Roy Orbison-Version trägt in meinen Ohren etwas zu dick auf.
Die Rückseite enthält ein tolles Cover des Bryant-Songs The Same Old Trouble, fantastisch musiziert.

(·) Müsste für deutlich unter 10 Euro zu bekommen sein.


The Barracudas: I Want My Woody Back / Subway Surfin’ 1979 UK-Cell-out (oben: 2003 E-Munster)

Baba-rara-cucu-dada kündigte der Plymouth-dealer im Intro von Summer Fun die Band an. Es war ihre zweite Single und der Durchbruch. Ich war fasziniert. Eingeweihte munkelten dann von einer ersten 7“, die in kleiner Auflage erschienen war, aber sie war hier einfach nicht mehr zu bekommen. Ich habe das Original nach wie vor nicht und begnüge mich stattdessen mit diesem Reissue auf Munster.
Eine wirklich feine Platte. The Ramones meet The Beach Boys, Surf meets Punk. Das ungezwungene kalifornische Strandleben der 60s feiert hier seine fröhliche Wiederkehr mit allem Hedonismus, der ihm eigen war, und natürlich mit der ganzen Unbedingtheit, die den wahren Surfer ausmacht. Weshalb das Ganze dann auch hervorragend in dieser Mischung funktioniert. Vom Intro mit seinem Harmoniegesang über die kleine Steigerung bis hin zum Hauptteil mit seinen schnellen Gitarrensounds, seinem mitreißenden drive und den catchy Mitsingzeilen bleibt dem Hörer nichts anderes, als dem Charme von I Want My Woody Back zu erliegen. Einfach, aber großartig.
„London is a lonely town, when you’re the only surfer boys around“ steht auf dem Cover. Einleuchtend. Und deshalb gibt es Subway Surfing, welches auf der Rückseite seine Apotheose erfährt. Musikalisch kann es die Flip locker mit der A-Seite aufnehmen. Sie ist noch dichter, noch rauer, noch mehr Ramones als Beach Boys. Ich mag sie sehr.
Die Barracudas, die sich nach einem Standells-Song so nannten, bekamen nach dem Erfolg dieser Single einen Plattenvertrag bei Regal Zonophone, wo dann Summer Fun und ihre erste LP erschien und das Harte und Ungestüme soundmäßig leider etwas geglättet wurde.

(·) Die heutigen Internet-Märkte lassen die Original-Single (Auflage 5000) dann und wann auftauchen mit Preisen zwischen $ 30 und $ 50. Da es sich beim Cover der Munster-Edition (Auflage 1000) um eine schöne Replik handelt, würde auch diese Ausgabe in Frage kommen, sie liegt aber auch schon über 10 Euro.


Otis Redding: (Sittin’ On) The Dock of The Bay / Sweet Lorene 1968 D-Atlantic

Diese Single ist Otis Reddings Vermächtnis und war sein endgültiger, weltweiter Durchbruch und größter Hit. Hätte er ihn doch noch erleben können, es hätte ihn unglaublich stolz und glücklich gemacht. Aber er starb sechs Wochen vor der Veröffentlichung bei einem Flugzeugabsturz.
Otis verlässt mit diesem Song sein angestammtes Soulrevier, macht etwas ziemlich Neues, so sehr, dass Stax-Lablechef Jim Stewart die Aufnahme zunächst gar nicht veröffentlichen wollte. Aber Steve Cropper und Otis Redding waren absolut überzeugt davon, war ihnen doch irgendwo eine Mischung aus weißem Songwriting, „modernen“ Arrangement-Ideen (Regen- und Möwengeräusche im Hintergrund) und schwarzer Ausdrucksstärke gelungen.
Natürlich ist der Song als solcher schon absolut brillant. Der Mensch, der sich vergeblich in der Welt umgetan und bemüht hat, sich aber nicht findet in ihr, in einer Welt, in der sich nichts zu ändern scheint, dieser Mensch strandet hier am Dock, mit sich und seinem Leben allein. Er ist desillusioniert, aber nicht verzweifelt, beklagt den Weltenlauf, jedoch ohne Selbstmitleid.
Musikalisch hätte dies nicht besser umgesetzt werden können. Wir hören einfache Melodielinien, die immer wieder aufwärts zeigen und nicht etwa abfallend sind, was klagend Weinerlichem hätte Raum geben können. Otis singt den Song ausgesprochen zurückhaltend, dennoch strahlt seine Stimme eine wunderbare, wenn auch verletzliche Stärke und Selbstsicherheit aus.
Das Ganze ist eingebettet in ein Arrangement, das ebenfalls eher von Haltung denn von Schwäche geprägt ist. Der Rhythmus straight, die Drums nach vorn gemischt, Croppers Gitarre funkelt wie das Wasser. Da und dort kommt Verstärkung durch Bläser, dicht gesetzt und die Melodie verstärkend. Die beigemischten Geräusche wirken sehr dezent und passend, nicht aufgesetzt oder effektheischend.
Ja und dann geht Otis am Ende der Text aus -er hatte noch ein paar weitere Zeilen schreiben wollen- so dass er im Studio zunächst nur pfeifend weitermachte. Der Text wurde nicht mehr geschrieben, Cropper beließ es bei dem Vorhandenen und brachte die Single raus.
Denke ich an die Scorpions, müsste sich Pfeifen für immer und alle Zeiten verbieten, hier aber findet ein großartiger Track damit seinen wohl bestmöglichen Abschluss. Ich pfeife auf die Welt. Weltschmerz, was ist das? Und das alles in zweieinhalb Minuten. Danke, Otis für diese Single.
Niemand weiß, was danach hätte kommen können. Der weiße Markt war geknackt und hätte bedient werden müssen. Otis’ schwarze Musik wäre möglicherweise weißer geworden. Eine bessere und schönere Aufnahme, die beide Seiten in sich vereint, hätte es nach dieser aber kaum noch geben können.

(·) Die Single dürfte für 10 Euro erhältlich sein, wird aber häufig nur in schlechter Erhaltung angeboten.

Today’s Tops

1 Otis
2 Undertones
3 Seeds
4 Gibson
4 Barracudas
6 Covay

PS: Kommentare von Gastlesern gern auch an otis-online@gmx.de

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