Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Dirty Pretty Things: Bang Bang You’re Dead / Wondering (acoustic) 2006 UK-Mercury

Neben den White Stripes waren die Libertines meine Fave-Band der letzten Jahre. Auch sie haben sich in einer Reinkarnation wieder zu Gehör gemeldet, als Dirty Pretty Things und natürlich ohne Babyshamble Doherty. Eine Single und eine LP sind auf dem Markt. Unfair, das Neue am Alten zu messen, auch wenn viele Elemente desselben erkennbar sind.
Bang Bang You’re Dead ist zunächst einmal ein toller Song mit viel Popappeal und scheint an das Songwriting der ersten Libertines-LP anzuknüpfen, eingängig und mit hooklines zum Mitsingen. Und dennoch: mir fehlt das Überraschende, das Unberechenbare, der musikalische Chaos-Faktor, ob er nun Doherty oder Mick Jones zuzuschreiben war. Das ist zwar alles überaus gut produziert, gleichzeitig aber auch etwas glatt, obwohl einige Ecken und Kanten erhalten geblieben sind und natürlich einige wunderschöne Stellen locken. Btw. der Sinn des Intros erschließt sich mir nicht.
Es bleibt unterm Strich dennoch eine tolle Single, die man nicht missen sollte. Sie steckt in einem foldout-cover, das eine zweite Tasche enthält für die der LP beigelegten 7“. Auf dieser findet sich eine Demo-Version von Bang Bang und der Track Burma, der auf den meisten CDs, wie man hört, zu fehlen scheint.
Warum die Jungs sich allerdings Dirty Pretty Things nennen (angesichts der Pretty Things aus den 60s, denen als meistbenutztes Attribut dirtyness angehängt wurde), mag allein die Band oder deren Management wissen. Mit den Pretties von damals verbindet sie musikalisch ganz und gar nichts, so dass das „dirty“, angesichts der Eskapaden des ehemaligen Bandbruders Pete und in Konkurrenz zu seinen Babyshambles, möglicherweise und durchaus etwas spekulativ auf eine verbliebene „Authentizität“ verweisen soll.

(·) Die Single war limitiert auf 5000 Stück, dürfte aber noch einigermaßen gut und zu einem annehmbaren Preis zu bekommen sein.


The Rolling Stones: Satisfaction / The Under-Assistant West Coast Promotion Man 1965 D-Decca

Die zweite große Single von ’65 in den heutigen Faves. Die noch größere. Über Satisfaction zu schreiben, ohne Gemeinplätze von sich zu geben, ist kaum möglich. Es ist alles gesagt. Deshalb meine ganz persönlichen allerersten Erinnerungen daran.
Ich war zwölf, begann gerade Englisch zu lernen, da wurde mir von Älteren Satisfaction vorgespielt. Fast hinter vorgehaltener Hand. Ein Song, für den ich eigentlich noch viel zu jung sei. Eine Initiation.
Satisfaction. Weißt du eigentlich, was das ist? Das heißt Befriedigung!! Die Jungs hatten mir den Songtitel sogar ganz genau genannt: I can`t get no satisfaction. Ein solcher Titel von einer so berühmten Band! Ich war verwirrt. Die doppelte Verneinung fand ich aber cool, weil sie mir irgendwie falsch vorkam.
Und dann die ersten Takte. Sie ließen mich erschauern. Sie hatten so viel Kraft, so viel Power, trugen so viel Aufregung in sich, dass ich alle Großartigkeit und Schmutzigkeit der Welt gleichzeitig dahinter vermuten musste. Jagger`s weicher, verführerischer Gesang gab dann seinen Teil dazu.
Mühselig begann ich, mir in der Folgezeit den Text zu erschließen, fand diesen dann aber seltsam unaufregend, eher abgeklärt und ein wenig zu erwachsen. Ich reiste schließlich nicht in der Weltgeschichte umher und Werbefritzen mit weißen Hemden interessierten mich genauso wenig wie irgendwelche Zigarettenmarken. Auch der Führerschein lag in so ferner Zukunft, dass an ein Auto mit Autoradio nicht zu denken war. Aber eines nahm ich mir vor, dem „man on the radio“ von nun an nicht mehr von vornherein trauen zu wollen, sondern darauf zu achten, wann er welches dumme Zeug von sich geben würde.
Und, was wichtiger war, ich lernte, dass Satisfaction viel mehr beinhaltete als das, wonach der Pubertierende zu gieren begann. Dieser Song gab mir den ersten Anstoß dazu, darüber nachzudenken, was ich hier in dieser Welt eigentlich zu suchen hatte. Und mehr noch, dass es meine verdammte Lebenspflicht war, mir mein eigenes Zufriedenheitslevel nicht runterzuschrauben oder gar schönzureden, sondern, koste es, was es wolle, „Satisfaction“ zu suchen. Selbst wenn es noch ein paar Jahre dauern sollte, bis ich das alles so ganz verstand.
Kann man einer Single mehr verdanken?

(·) Es ist gar nicht leicht, Satisfaction in bester Erhaltung zu bekommen, obwohl sie millionenfach gekauft wurde. Die Hülle erschien in mehreren Varianten, meine obige mit dem roten Balken ist die häufigste. Daneben gibt es sie mit einem braunen und einem weißen Balken.


Johnny Kidd & The Pirates: Shakin’ All Over / Yes Sir, That’s My Baby 1960 UK HMV

Perfekt. Das zweite musikalische UK-Wunderwerk nach Move It von Cliff.
Eigentlich hätte der alte Standard Yes Sir, That’s My Baby die A-Seite werden sollen, und die Skiffle-Vergangenheit (Freddie Heath & The Nutters) hätte die Band möglicherweise wieder eingeholt, obwohl sie sich mit ihrer großartigen ersten Single Please Don’t Touch und neuem Namen doch längst davon gelöst hatte.
Und eigentlich hätte die B-Seite irgendein Standard werden sollen, schnell und ohne viel Sorgfalt aufgenommen, ein Füller eben. Im letzten Augenblick besannen sie sich anders. Johnny Kidd alias Freddie Heath schrieb in wenigen Minuten Shakin All Over, die Pirates nahmen es in einem einzigen Take auf und ein neuer Klassiker war geboren. Wenige Wochen später Nummer 1 in den Charts.
Man weiß gar nicht, was man mehr bewundern soll: die unglaubliche Ökonomie der Produktion, die Durchsichtigkeit des Arrangements mit dem feinen Bass und der spektakulären E-Gitarre oder die leicht hysterischen vocals von Johnny Kidd, der sich einige Wochen zuvor für einen Auftritt aus Jux eine schwarze Augenklappe aufgesetzt hatte, die dann sein Markenzeichen blieb. Hier ist kein einziger überflüssiger Ton, jeder perfekt an seinem Platz, selbst die aufgeregten Schlagzeug-Wirbel rechtfertigen sich durch das nachfolgende Gitarrensolo. Und zuguterletzt ist da natürlich auch ein Song, der in seiner Einfachheit dermaßen auf den Punkt kommt, dass kaum eine Band, die etwas auf sich hält, ihn nicht schon einmal gespielt hätte.
Absolut fantastisch.
Shakin’ All Over war 1965 der erste Hit der Berliner Lords. Aber kein Vergleich zum Original.

(·) Das UK-Original ist recht leicht zu bekommen, die deutsche Ausgabe davon sehr selten. Soweit ich weiß, existiert dazu höchstens ein Schriftcover, keines mit Bild. Also ist man mit dem UK-Original mehr als bestens bedient.

Today’s Tops

1 Stones
2 Elvis
3 Kidd
4 Who
5 Raconteurs
6 Dirty Pretties

PS: Kommentare von Gastlesern gern auch an otis-online@gmx.de

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