Re: Otis´ 7" Faves

#2456045  | PERMALINK

otis
Moderator

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 22,557


The Dolphins: Thin Fine Line // She Took A Long Cold Look / Cable Hogue 1981 UK-Day 1

Aus der Ramschkiste auf heavy rotation. Nur wenige Platten haben das bei mir geschafft.
Ich weiß gar nicht mehr genau, wo ich diese Platte damals gefunden habe. In jedem Fall aber habe ich sie für wenig Geld auf gut Glück mitgenommen und sie entpuppte sich als kleiner Schatz. Der Grund dafür, dass ich sie überhaupt gekauft habe, waren die Songs der B-Seite, bzw. deren Autoren. She Took … ist ein Cover des Syd Barrett-Songs und Cable Hogue natürlich von John Cale. Beide in einer sehr feinen, recht eigenständigen Version hier vertreten.
Fasziniert hat mich damals aber noch viel mehr die A-Seite. Diese habe ich sehr häufig gehört und auf x Tapes unters Volk gebracht. Einige der Hörer konnten gar meine Begeisterung teilen.
Thin Fine Line ist eher als Hohes Lied auf die Liebe denn auf den Koks gedacht. Das Eigentümliche und Besondere an dem Track ist die seltsame Diskrepanz zwischen den vocals auf der einen Seite und der Songdramaturgie und dem Arrangement auf der anderen.
Da bemüht sich jemand als Sänger, an John Cale erinnernd, aber ohne dessen Präzision. Und dagegen steht ein Song, der einfach Klasse hat. Zwar typisch für die Zeit arrangiert, ein bisschen wavig, ein paar Synth-Klänge, eine pluckernde Gitarre, ein behänder Bass. Aber auch ein paar Gitarrenparts vom Feinsten und Steigerungen über den kompletten Track hinweg, die schlichtweg mitreißen. Das alles mit einer new wave-typischen Distanz inszeniert, dass der, mit der melodiösen Melodielinie etwas überfordert erscheinende, Gesang dann doch wieder zu passen scheint.
Amateurhaft zum einen, grandios und packend zum anderen.
Und der Track zwingt mich auch heute noch in die Knie. Das erste Wiederhören war abwartend (er singt wirklich nicht sonderlich gut), dann aber gegen Ende und spätestens beim zweiten Mal spielt Thin Fine Line wieder seinen ganzen Charme aus und ich schmelze dahin.
Heute höre ich, dass die B-Seite mit den beiden Cover-Versionen, musikalisch möglicherweise stringenter, allemal auch den Kauf gerechtfertigt hätte. Aber damals war sie mir nicht sonderlich wichtig.
Diese Single dürfte die einzige der Dolphins gewesen sein. Sie hatte es nicht verdient, in der Ramschkiste zu landen. Ja, sie ist es sogar wert, wieder ans Tageslicht geholt zu werden.

(·) Wenn ihr sie findet, greift zu. Es dürfte sie kaum jemand so sehr lieben wie ich, also sollte sie auch nicht viel kosten.


Cliff Richard: Lucky Lips / I Wonder 1963 D-Columbia

Natürlich habe ich Lucky Lips in den letzten Jahren das eine oder andere Mal gehört. Aber eines habe ich nicht, sein dt. Pendant mit dem Original verglichen. Dabei waren es die roten Lippen, die mich als Kind begeisterten. Noch keine Ahnung von Liebe, von Sex. Nicht mal hatte ich als Zehnjähriger sonderlich viele Frauen mit Lippenstift gesehen. Und, es mag steinzeitlich anmuten, einen Fernseher hatten wir zu der Zeit auch noch nicht. Farbe gab es darin ohnehin keine. Seither ist man also auf der Suche nach den roten Lippen, die man küssen soll. ;-)
Zurück zum Original. Lucky Lips war seltsamerweise nicht der Riesenhit im UK, wie man denken könnte. Landete nach mehr als einer Handvoll No.1-Hits gar nur auf Platz 4. Die Zeit der Beatgruppen hatte begonnen. Bei uns hingegen war die dt. Version „Rote Lippen soll man Küssen“ eine wochenlange Nr. 1. Eine auch gefühlte Nr.1.

Ja, Lucky Lips mochte im UK etwas antiquiert wirken anno 63, da es seine 50s-Wurzeln nicht verleugnen kann, aber es ist ein toller Track, ungemein frisch, locker und unverbraucht swingend. Dass die Melodieführung sich besonders den schlagergenormten deutschen Ohren öffnete, mag ihr nicht vorzuwerfen sein, zumal das überaus feine Arrangement, der Backgroundgesang und natürlich Cliffs Interpretation im engl. Original von ihr abzulenken wussten.
Das war bei der dt. Aufnahme deutlich weniger der Fall. Der Bass bekam nachträglich seinen Wumms, der Botho-Lucas-Chor klang so altmodisch wie sein Name, der Gesang wurde nach vorn gemischt, und dahin waren Frische, Lockerheit und Durchsichtigkeit.
Das Original also eine der ganz großen Cliff-Singles, die dt. Aufnahme bei weitem nicht.

(·) Die dt. Lucky Lips ist sicherlich nicht sonderlich selten, aber weitaus weniger häufig als ihre Schwester „Rote Lippen…“, welche das gleiche Cover hat. Darüber hinaus würde ich der UK-Version den Vorzug geben, da sie deutlich besser klingt als die deutsche. Alles für unter 10 Euro zu bekommen.


Ian Dury: Sex & Drugs & Rock & Roll / Razzle In My Pocket 1977 D-Stiff

Es muss Ende ´77 gewesen sein. Ein Konzert von Kevin Coyne im Nashville in London. Dury war als Gast vor Ort. Wohl zu seinen Ehren lief zwischenzeitig ein paar Mal diese Single. Seit dem Abend hat sie eine besondere Bedeutung für mich. Dury brachte hier mit seinem typisch britischen Humor auf den Punkt, was Rock’n Roll auszumachen hatte, und das als kleiner humpelnder Mann, alles andere als ein Rockstar also. Allerdings schien er, wie das Gegenüber auf der Bühne, ausgestattet mit einer großen Persönlichkeit (im Jahr 2000 verstorben).
Natürlich ist Sex & Drugs … nicht Punk, es ist auch nicht Rock & Roll, es ist sehr eigen von seiner musikalischen Diktion her. Aber die Punks akzeptierten diese ironische Hymne des ehemaligen Pubrockers auf den R&R-Lifestyle ohne Weiteres, war sie doch so wunderbar zielgenau und musikalisch allzu genial gemacht. Unglaublich karg und dennoch ausgesprochen wirkungsvoll. Dury’s Cockney-Sprechgesang und seine selbstironische Selbstinszenierung taten ein Übriges dafür, dass man diesen Mann einfach bewundern musste. Seltsamerweise war diese seine erste Single im UK kein Hit, obwohl auf dem damals neuen und angesagten Label Stiff erschienen und heute ein Klassiker der Moderne.
Auch die Rückseite, eine kleine Shoplifter-Story („True Story“ sagt das Cover) ohne Refrain in reinem Sprechgesang vorgetragen, kommt so elegant und mit so viel understatement daher, dass man sie gern ein öfter hört, obwohl die Story dann bekannt ist. Finest lyrics, finest rhythms, finest british quality.

(·) Wie gesagt eine der großen Singles von ´77, nicht sonderlich häufig und dennoch nicht teuer.

Today’s Tops

1 Beach Boys
2 Cliff
3 Driscoll
4 Dury
5 Dolphins
6 Wilde
PS: Kommentare von Gastlesern gern auch an otis-online@gmx.de

--

FAVOURITES