Re: Otis´ 7" Faves

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otis
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Faves #55
Instrumentals

Instrumentals waren ausgangs der 50er, Anfang der 60er Dauergäste in den Charts, völlig anders als in den Jahren danach und Jahrzehnten seither. Es lohnt sehr, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Gewarnt werden muss aber vor der seelenlosen Aneinanderreihung dieser Kleinode auf irgendwelchen Samplern, da sie ihre Kraft und Stärke meines Erachtens erst wirklich entfalten, wenn sie ganz allein für sich genossen werden. Es sind halt Singles.
So habe ich mir zum Prinzip gemacht, wenn ich denn mal einen Sampler mit unbekannteren Single-Tracks höre, (was sich leider nicht immer vermeiden lässt, da manches auf Single einfach nicht zu bekommen ist), jedes Stück mind. zweimal hintereinander zu hören und dann eine Pause zu machen, jede Aufnahme also quasi wie eine Single zu hören.
So viel zum Thema Sampler, um die es aber hier in diesem Thread nicht geht oder gehen soll, denn auch dieses Prinzip ersetzt natürlich nicht das Abspielen von 7“s.

Bleiben wir also fortan bei den 17-cm-Platten mit der Abspielgeschwindigkeit von 45 Umdrehungen pro Minute und den darauf enthaltenen wunderbaren Aufnahmen.


Mar-Keys: Last Night / Night Before 1960 US-Satellite

“When we put it out, it exploded like nothing had ever exploded before“, erinnert sich die Labelbesitzerein und diese Single ist tatsächlich der endgültige und ganz große Durchbruch einer neuen Plattenfirma auf dem Markt, die in den folgenden Jahren weltweit Musikgeschichte schreiben sollte. Allerdings stellte ein kleines kalifornisches Label auf dem Höhepunkt der Hitkarriere von Last Night im Sommer ´61 fest, dass es doch eigentlich viel ältere Rechte an dem Namen Satellite habe und drohte mit Klage. Estelle Axton und ihr Bruder Jim Stewart stritten nicht lange, sondern benannten Satellite flugs um, indem sie die Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen zusammenfügten und Stax aus der Taufe hoben. So wurde ein beträchtlicher Teil dieses millionsellers auch unter dem Label Stax verkauft.
Musikalisch gesehen ist Last Night eher ein unbedeutendes Etwas, aber es ist sehr cool und traf den Nerv der Zeit auf den Punkt. Keine Melodien, kein Drumherum, keine musikalischen Gefälligkeiten, sondern im Grunde nur ein einziges markantes Riff, kraftvoll und packend dargeboten. Und selbst dieses Riff erscheint nicht einmal sonderlich originell (zumindest nicht in den Ohren Nachgeborener), aber es wurde unglaublich gut von den Produzenten-Nobodys aufgenommen, so dass das Ganze abwechslungsreich und mit ziemlicher Power rüberkommt. Allerdings hatten sie im Studio auch ein halbes Jahr an der Nummer herumgewerkelt, so dass am Ende kaum noch jemand wusste, wer nun wirklich auf der Single zu hören war. Mit dabei in jedem Fall Estelle’s Sohn Packy und die späteren MG’s Duck Dunn und Steve Cropper.
Eine tolle Platte, so einfach und so richtig, und ein toller Einstand von Stax.
Night Before lässt allerdings ahnen, warum der blutjunge Booker T. Jones bald der große Organist im Hause Stax werden konnte. Die Orgel hier hat nun wirklich keine Klasse.

(·) Last Night war ein großer Hit in den Staaten, weshalb die Platte einigermaßen leicht zu finden sein dürfte, mit 20 $ sollte man aber rechnen müssen. Es gibt auch eine recht seltene deutsche Pressung auf Atlantic.


Duane Eddy: Because They’re Young / Rebel Walk 1960 US-Jamie 1156

Gern hätte ich Rebel Rouser oder Peter Gunn hier vorgestellt, aber beide Singles besitze ich nur ohne Hülle und das obige US-Sleeve ist zu schön, als dass es nicht zu besonderen Ehren kommen sollte. Davon abgesehen war Because They’re Young der größte Hit von Duane Eddy, stellt also mit Gewissheit keine Verlegenheitslösung in diesem Thread dar.
Zwischen ´58 und ´63 veröffentlichte Duane Eddy eine große Anzahl von Singles (er war auch einer der ersten, der mit LPs wirklich Erfolg hatte), die meisten davon wurden zu Hits. Und es mag gut sein, dass Eddy neben Chuck Berry der wichtigste Wegbereiter für die E-Gitarre in der Rockmusik war. In jedem Fall aber hatte Mr. Twang einen Sound entwickelt, der mit seinen tiefen, satt twangenden Tönen von den Studio-Sounds (a la Chet Atkins) jener Tage meilenweit entfernt war. Stücke wie Peter Gunn waren deshalb wie geschaffen für ihn, er spielte es in den 80er Jahren auch noch mal mit Art Of Noise neu ein.
Dass sein Strickmuster nicht unbedingt das abwechslungsreichste war, schien ihm bewusst, weshalb er schon recht früh Streicher (eine sehr erfolgreiche LP hieß: Twangy Guitar Silky Strings) in seinen Tracks verwandte, wie auch hier bei Because They’re Young. Manch heutigem Ohr mag die Nummer wie eine abgenudelte klassische Western-Melodie vorkommen (sie war wohl auch Titelmelodie in irgendeiner Serie, wer weiß in welcher?), etwas Härte allein durch den Punch der Gitarre andeutend. Aber genau diese schöne Spannung zwischen den melodieseligen strings und der twangenden E-Gitarre ist das Hörenswerte an dieser Aufnahme.
Rebel Walk macht eher keine Kompromisse. Einigermaßen düster und geheimnisvoll könnte es Titelmusik in einem Wallace-Film sein. Übrigens eine Lee Hazlewood-Komposition. Jener hatte als Produzent und Komponist keinen geringen Anteil an Sound und Erfolg von Duane Eddy.

(·) Goldmine sieht allein das Sleeve doppelt so teuer wie die Single bei 30$. Ich denke, es geht zusammen auch günstiger.


Link Wray: Rumble / The Swag 1958 D-Heliodor

Punk in Reinkultur? Das Zeugnis eines stümperhaften Gitarreros? Die Quintessenz des Rock’n’Roll in Super-slow-motion? Oder doch ein sinister düsterer Trauermarsch, vor dem es kein Entrinnen gibt?
In jedem Fall begegnet dem Hörer hier ein ganz eigentümliches musikalisches Gebilde, das entweder gefangen nimmt oder auf Ablehnung stößt, mit Eigenschaften, die damals so neu wie archaisch waren. Keine Melodien, nur einfachste Akkorde, die kaum etwas herzugeben scheinen. Morbid und dumpf marschierende Drums. Ein Bass, der melodische Bewegung vorgaukelt und kurze Gitarrenparts, die ein Anfänger schon nach einer Stunde Übens drauf haben mag. Sonst nichts. Irgendwann ein paar Takte lang ein an Bo Diddley erinnerndes Schrammeln, dann aber wieder dieser kompromisslose Todesmarsch, der sich am Ende, elektrisch zerhackt und verzerrt, ins Nichts verliert.
So unglaublich simpel das alles vom Spieltechnischen her ist, so unglaublich groß ist es auch. (Dies allen Lukather et al.-Fans ins Stammbuch geschrieben.) Offenbart sich doch hinter diesem Wenigen verdammt viel verstörende Wahrheit, unmittelbar, direkt und gnadenlos.
Dichter und prägnanter kenne ich kaum ein anderes Instrumental, und schon gar keines, das mich emotional immer wieder so berührt. Abgrundtief genial und innovativ.

(·) Obige Heliodor-Pressung gehört zu den ganz seltenen dt. Rock-45ern der 50s. Ich habe sie bislang noch in keinem Katalog gefunden und hüte sie trotz ihres relativ schlechten Zustandes wie meinen Augapfel. Einen Preis zu nennen ist deshalb auch unmöglich. Als ich einem erfahrenen Rock’n’Roll-7“-Sammler/Händler mal von dieser Single erzählte, meinte er trocken, nein, er wüsste von ihr nichts. Aber Link Wray bräuchte er auch nicht. So ist die Welt. Und so lange die echten „Kenner“ sie stehen lassen, mag die Chance einigermaßen gegeben sein, ein Exemplar für wenig Geld zu bekommen, wenn denn mal eins auftaucht. Das US-Original auf Cadence steht mit 40 $ zu Buche, die UK-Ausgabe mit 40 Pfund.

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